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U_Blues @U_Blues
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So, kann dann losgehen, wer mal einen Einblick haben will was in der deutschen Arbeitswelt passiert wenn frau schwanger wird, möge sich ein bissel Zeit mitbringen und lesen (Thread).

Vorgeschichte: War schon ein paar Jahre im Unternehmen, bin Ingenieurin, hab Berufserfahrung,
nie Anlass zu Klagen gegeben, alles super. Nachdem ich eine Führungsposition 1,5 Jahre kommissarisch ausgegübt hatte, wurde ich im Frühjahr letzten Jahres offiziell Teamleiterin, mit Gehaltserhöhung, Gewinnbeteiligung, pipapo.

2 Wochen nachdem ich offizell ernannt wurde
wurde ich schwanger. Habs der Geschäftsführung auch direkt mitgeteilt wegen Übelkeit im ersten Trimester, potentieller Gefährdung bei Baustellenüberwachung etc.

Die Reaktion war schon übel, Zitathighlights "war das jetzt geplant?", "eigentlich müsste ich Ihnen ja gratulieren".
in der Schwangerschaft musste ich aktiv um Einhaltung von Mutterschutz kämpfen, jedes Mal wenn ich home office im Hochsommer gemacht habe weil mein Arbeitsplatz mehr als 30°C hatte gabs nen blöden Spruch.

Die ganze Zeit versuchte ich Stellvertretung etc. zu organisieren.
Geschäfsführung hat es immer geschoben - blöderweise musste ich aus gesundheitlichen Gründen zwei Monate früher als geplant aufhören und prompt hat es Chaos ausgelöst weil nix vobereitet war, noch nicht mal eine Stellenausschreibung oder Projektvertretung. Hab sogar noch von zu
Hause bei dringenden Sachen ausgeholfen (stehend, Laptop auf dem Wickeltisch, weil ich wegen Symphysenproblemen nicht sitzen konnte) und kam zu zwei Terminen ins Büro. War immer telefonisch erreichbar und bemüht zu helfen wenn nötig.
Nach der Geburt hat es dann über einen Monat gedauert bis man mir gratuliert hat.

Ich hatte übrigens von Anfang an klargestellt, dass ich nach 6 Monaten Elternzeit Vollzeit wieder einsteigen würde. 2 Monate vor Beginn wurde ich zu einem Gespräch gebeten und da wurde mir
eröffnet, dass man mich von meinem wohnortnahen Standort 40 km weit weg in die Hauptzentrale versetzt. Begründung: Interne Umstrukturierung. Vage hieß es, ich würde wichtige unternehmensübergreifende Tätigkeiten übernehmen, damit es keine Rückstufung von der Führungsposition sei.
bin zum Anwalt, der meinte solange die nicht ans Geld gehen könne ich nix machen weil in meinem Arbeitsvertrag steht, dass ich auch woanders eingesetzt werden kann.

Hab versucht Lockerungen in den Zeiten rauszuhandeln, Recht auf home office etc. weil es wenns Kind in die Kita
geht so Vollzeit mit den Kernzeiten nicht gehen würde. Wurde immer wieder vertröstet, als ich es 6 Wochen nach erneutem Arbeitsbeginn ansprach hieß es, es sei unverschämt dass ich schon wieder danach fragen würde, denn solange mein Mann noch Elternzeit macht sei das doch alles
kein Problem (ich muss übrigens für eine Fahrt rd. 50 Minuten einplanen).

Dann kam der Brüllerspruch: "Sie haben doch eh nicht geglaubt, dass Sie als Mutter noch Abteilungsleiterin sein könnten?" (leider habe ich das nicht auf Band, sonst würde ich klagen). Es war dann weiter
von einem Vertrauensbruch die Rede weil ich so kurz nach der Ernennung zur Abteilungsleitung schwanger geworden bin. Da dämmerte mir, dass die Versetzung im Prinzip eine Bestrafungsaktion war. Weiterhin dämmerte mir langsam, dass ich in der Hierachie krass zurück gestuft wurde.
Ich mache momentan größtenteils Projektzuarbeit und bin noch nicht mal mehr Leiterin meiner eigenen Projekte. Alles was ich tue wird unter die Lupe genommen, ich kann de facto keine eigenen Projektentscheidungen treffen. Es ist, als hätte ich komplett von vorne angefangen.
Zu meinem Geburtstag wurde mir nicht gratuliert (mein Kuchen wurde gegessen). Früher wurde mir immer gratuliert.

Ich habe inzwischen eingesehen dass da nix mehr reißen ist, ich in dem Unternehmen keine Zukunft mehr habe und bin vor ein paar Wochen auf die Suche gegangen.
Gestern habe ich in einer anderen Firma einen Vertrag unterschrieben, im Gespräch habe ich offen gesagt dass ich ein Kind habe, aber einen guten Kitaplatz habe und Vollzeit arbeiten möchte. War kein Ding, es hieß man wäre da flexibel, neue Zeiten etc. Verdiene dann sogar mehr.
Morgen werde ich dann kündigen.

...

der Brüller an der ganzen Sache ist: Wir haben hier krassen Personalmangel, kriegen Stellen nicht besetzt, sind mit Projekten mehr als ausgelastet. Ich habe ganze drei Bewerbungen abgeschickt bis ich einen neuen Job hatte. Es ist also von
meiner Noch-Geschäftsführung einfach nur dumm, eine erfahrene und kompetente Kraft wie mich so übel zu vergraulen. Aber gut, sie haben es nicht anders gewollt.

...

werde dann morgen berichten, wie auf meine Kündigung reagiert wird.
(Nachtrag: Mir ist bewusst, wie privilegiert ich bin, weil der Mangel in meinem Feld hier in der Region so übel ist, dass ich so schnell einen neuen Job gefunden habe. Ich will mir gar nicht ausmalen wie schlimm es für Mütter sein muss, die wegen ihrer Mutterschaft beruflich
diskriminiert werden und auf den Job angewiesen sind weil es schwierig ist, woanders was zu finden. Ich habe das Spiel jetzt nur drei Monate mitgemacht, aber es hat bei mir schon Spuren hinterlassen.)

So viel zur Gleichberechtigung in Deutschland im Jahr 2018...
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