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Kinners, hab heute morgen ne lange Mail an eine Person verfasst, die gerne mehr Frauen in die Informatik bringen möchte. Finde ich super, wehalb meine Antwort relativ lang war und möglicherweise auch für euch interessant. Da ich keinen Blog hab, hier ein... long read... thread ;)
Mein Wissen basiert da natürlich auf eigenen Erfahrungen, den Erfahrungen anderer Menschen in dem Feld und der wissenschaftlichen Forschung, die zu dem Thema seid Jahrzehnten existiert. Quellen also da, wo sie möglich sind.
Brauchen Frauen einen anderen Zugang zur Informatik?

tl;dr: Nein, die Informatik brauch einen anderen Zugang zur Gesellschaft.
Wenn wir mit dem Begriff "Frauen in der Informatik" hantieren, rutschen wir in die Falle, irgendwann die Frauen als das Problem zu sehen - oder zumindest als den Punkt, an dem wir ansetzen müssen.
Aber der Informatik mangelt es ja nicht nur an Frauen - es mangelt auch an PoCs, an Menschen mit Behinderungen, an Menschen aus verschiedenen Altersgruppen & vielen anderen. Oder: es gibt einen Überschuss an Leuten in der Informatik, die eine sehr ähnliche Lebensrealität teilen.
Die Frage, die wir uns meiner Meinung nach stellen wollen ist: Wie kann die Informatik ihre Involviertheit in Gesellschaft anders begreifen und sichtbar machen? Wir alle Nutzen Technik, wie kann Informatik ermöglichen, dass alle diese Technologien mitgestalten können?
Die Verantwortung für den Wandel liegt also in den Händen derer, die sich bereits in dem Feld bewegen. Ich empfehle dazu folgendes Paper:
cs.cmu.edu/%7Ecfrieze/Cro…
Warum studieren aktuell so wenige Frauen Informatik?

tl;dr: Weil sie schon seit Jahr(zehnt)en gelernt haben, dass das nichts für sie ist.
Wir stecken in einem "Teufelskreis", in dem wir (unterbewusst) davon ausgehen, dass Männer Naturtalente in Technik sind. So werden Kindern basierend auf Geschlecht Interessen unterstellt; Jungs komment häufiger mit Technologie in Berührung und erhalten mehr Unterstützung dabei.
Das wiederum führt zu mehr Erfahrung und Selbstbewusstsein, was im kritischen Pubertätsalter dann auch sehr das weitere Interesse prägt. Auch hier wird das Verständnis davon, was Jungs und Mädchen mögen sollen, sehr relevant.
Bis zum Studium geht also schon ein großer Teil von Menschen verloren, die sich potenziell für Informatik begeistern könnten, wenn sie genauso selbstverständlichen den Umgang damit lernen würden. Mehr zu diesen Gender Digital Divide hier: onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.111…
Sind «Hybrid»-Studiengänge wie Medizininformatik oder Bioinformatik für Frauen attraktiver?

tl;dr: Ja! Und für Menschen generell, die Informatik als Werkzeug nutzen
wollen, um in einem konkreten Gebiet, für das sie sich bereits
interessieren, etwas zu verändern.
Die Carnegie Mellon University in den USA hat nach zwe umfassenden Studien zum eigenen Lehrangebot in der Informatik ihren Anteil an Studentinnen von 8% im Jahr 1995 zu 42% im Jahr 2000 erhöht. Wie? Informatik wurde nicht weiter als Selbstzweck, sondern als Werkzeug vermittelt.
Während anfangs hauptsächlich Studenten Informatik belegten, die eine "dreaming in code"-Perspektive hatten, zeigten die wenigen Studentinnnen eher einen "computing with a purpose"-Ansatz.
Nach Veränderungen im Curriculum, um die Informatik enger an Anwendungsbereiche zu binden, stieg aber nicht nur die Anzahl an Frauen im Fach, sondern generell die Anzahl an Studierenden, die IT als Werkzeug verstehen, mit dem sie Konkretes bewegen können: cs.cmu.edu/~cfrieze/Diver…
Was stört im Informatikstudium?

tl;dr: Konkurrenzdenken, Vorurteile, Aussieben statt gute Lehre, Genie-Denken, männliches Ego.
Die Informatik kann es sich eigentlich nicht leisten, früh auszusieben. Dennoch gibt es genug Lehrende, die nicht mal ansatzweise mit didaktischen Fähigkeiten ausgestattet sind und *deswegen* von Studierenden erwarten, dass sie sich alles selbst beibringen.
Das klappt in der Informatik für einige Leute ganz gut, aber viele sind gerade am Anfang des Studiums (vor allem, wenn sie weniger Vorwissen haben), damit überfordert. Und es macht auch nicht unbedingt Spaß, alles auf Youtube nachzuholen, was man in der VL nicht verstanden hat.
Darüber hinaus neigen Männer dazu, ihr eigenes (Halb)Wissen selbstsicherer zu präsentieren und sich bei Unwissen nicht die "Blöße" zu geben, nachzufragen. Ich habe noch nie so wenig Rückfragen an die
Lehrenden erlebt wie in den Kursen, in denen hauptsächlich Männer waren.
Nicht, dass es keine Fragen gegeben hätte. Es hat sie nur keiner gestellt.
Zwei Phänomene sehe ich bei gemischtgeschlechlichen Kursen (in denen Männer meist deutlich in der Überzahl sind): Tokenism und Stereotype Threat.
Tokenism ist (auch) ein psychologisches Phänomen, in dem Menschen erst als Individuen wahrgenommen werden, wenn Aspekte ihrer Identität zu mehr als einem Drittel in einer Gruppe repräsentiert sind.
Beispiel: Wenn ich als eine von zwei Studentinnen in einem Seminar sitze, in dem sonst nur Studentin sind, werden meine Fehler und mein Verhalten nicht als das wahrgenommen, was Laura macht und fragt, sondern als das, was *Frauen* machen und fragen.
Das hat natürlich Konsequenzen dafür, wieviel ich mich traue, auch mal Fehler zu machen - die aber essentiel für's Lernen sind!
Stereotype Threat sorgt dafür, dass Menschen schlechter performen, wenn sie im Vorhinein darauf aufmerksam gemacht werden, dass sie Teil einer Gruppe sind, über die Vorurteile existieren (en.wikipedia.org/wiki/Stereotyp…).
Wäre ein Frauen-Studiengang ein Schritt in die richtige oder
in die falsche Richtung?

tl;dr: Es ist eine sinnvolle Strategie, sollte aber nie die einzige langfristige Lösung sein.
Die oben genannten Phänomene deuten erst mal an, dass Frauen in einem Raum, in dem sie nicht in der Unterzahl sind, potenziell besser lernen können. Für mich war der Frauenstudiengang der einzige Grund, warum ich mich getraut habe, Informatik zu studieren.
Und er hat in großem Maße dazu beigetragen, dass ich jetzt im gemischten Master zurecht komme. Ich denke, dass vor allem das Grundstudium ein Raum sein soll, in dem man sich auf das Lernen konzentrieren kann, ohne ständig mit bewussten oder unbewussten Vorurteilen zu kämpfen.
Allerdings reagieren hochschulintern wie -extern Menschen mit sehr viel Gegenwind auf diese Art von Studiengang: Uns wird permanent vorgeworfen, dass die Kurse einfacher seien, wir weniger könnten etc. Es bedarf es also auch viel Aufklärung und einer geschlossenen Haltung der Uni
Ich denke, dass ein Frauenstudiengang nicht das ultimative Ziel sein sollte - zumal wir ja festgestellt haben, dass es nich tnur an Frauen mangelt. Aber es kann ein Werkzeug von vielen sein, um zu einer diverseren Informatik zu gelangen.
Fehlen bestimmte Themen im Informatik-Studium, wie z.B. Ethik und soziale
Verantwortung?

tl;dr: Hell yes, aber ihr könnt die nicht einfach in ein extra Fach auslagern und euch dann nicht weiter damit auseinandersetzen!
Ethik oder soziale Verantwortung sollte nicht (nur) als herausgelöstes Fach
unterrichtet werden, sondern viel mehr in jedem Kurs mitgedacht sein. Security? Hat natürlich ethische Aspekte! Verschlüsselung? Hallo! Namen von Variablen, Libraries, Kommetierung? So viel zu lernen!
Es macht viel mehr Sinn, im konkreten Fall darüber zu sprechen, welche
ethischen Überlegungen anstehen, wenn wir möchten, dass zB Entwickler
dieses Denken auch später in der alltäglichen Programmierung
integrieren.
Schließlich sind gesellschaftliche Fragen nicht losgelöst
von der Informatik, sondern Kernpunkte darin!
Okay, habe gegen Ende die Quellen ausgelassen und freue mich, wenn ihr noch ergänzt. Bin erst mal off zum Sport ;)
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