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Der Pazifismus war 1914 eine Macht in Frankreich und in Deutschland. Der Krieg war nicht schlicht kollektiv herbeigesehnt.
Auf dem Weg zur Friedensdemo mit 100.000 Teilnehmenden im Treptower Park Berlin, 28. Juli 1914
Dazu gehört auch die Schrift „The Great Illusion“ des Briten Norman Angell (1910) mit der Botschaft, dass ein kommender Krieg allen schaden und unvorstellbare Verheerungen anrichten werde. Das Buch wurde innerhalb 1 Jahres in 15 Sprachen übersetzt und fand weltweit Anerkennung.
Dass ein kommender Krieg nie dagewesene Zerstörungen bringen würde, war weit verbreitetes Wissen. Selbst Moltke erklärte, ein kommender "Weltkrieg" werde "die gegenseitige Zerfleischen" bringen und "die Kultur fast des gesamten Europas auf Jahrzehnte hinaus" vernichten.
Seit längerem zeigt die Forschung, dass nicht überall Kriegsbegeisterung herrschte: eher in den Städten u im Bürgertum; auf dem Land u in der Arbeiterschaft war die Skepsis lauter. Die Historikerin Carola Groppe zeigt die Skepsis auch in Teilen des Wirtschaftsbürgertums:
Die Unternehmerfrau schrieb am 30.7.1914 an ihren Sohn: "Man zittert vor dem Weltkrieg, es ist nicht möglich, ihn sich vorzustellen, all' das in den Jahren des Friedens ruhig erarbeitete zu zerstören". (Groppe: Im dt. Kaiserreich, S. 445)
Besonders kriegsbegeistert zeigte sich dann die bürgerliche Jugend. Die Generation der Wandervögel und Jugendbewegten hofften auf ein "gewaltiges, berauschendes Abenteuer". Hier die Dichterin Ina Seidel 1914:
Nachtrag zu Ina Seidel, die später auch mit großem Pathos Hitler rühmte als "de[n] Eine[n], über dessen Haupte die kosmischen Ströme deutschen Schicksals sich sammelten, um sich geheimnisvoll zu stauen und den Kreislauf in unaufhaltsam mächtiger Ordnung neu zu beginnen."
Kurz noch zurück zur weit verbreiteten Kriegsskepsis um 1900:
„Kulturvölker“ hatten nach der Vorstellung vieler Zeitgenossen die kriegerische Zeit hinter sich gelassen, wie die Menschen „gebildeter Schichten Raufereien und Messerstechereien“, so das Berliner Tageblatt 1899.
Um keine zu einfachen Antworten darauf zu finden, wie es zum 1.Weltkrieg kam, lohnt es sich, nicht nur polizeiliche Überwachungsbrerichte gegen die Sozialdemokratie anzuschauen, sondern zB auch nach dem Selbstverständnis des Bürgertums zu fragen. Hier eine großartige Quelle
Dieser Prachtband von ca. 1899/1900 war gewiss ein Coffee Table Book, aber keine abgelegene Publikation. Hier der illustre Kreis der Unterstützer
Den Auftakt des Bandes, der ein Resümee des Kaiserreichs bieten will, bieten die deutschen Staatsoberhäupter, ABER DANN ...
Gleich nach den Staatsoberhäuptern wird in dem Prachtband von 1900 der Reichstag gesetzt.
Mit diesem wunderschönen Stich und mit dem ersten Kapitel "Das Staatswesen, die Staatsmänner und Parlamentarier", von Paul Laband, geb. in #Breslau/Wrocław, habilitiert an der @UniHeidelberg
@UniHeidelberg Darin heißt es: Man habe erlangt, "was man als den grössten und wichtigsten Fortschritt ansah, eine unmittelbare Beteiligung des Volkes an den staatlichen Angelegenheiten. Der unermessliche Wert diese Einrichtung ... bedarf keiner Darlegung" (1900). (Im Bild Parlamentarier)
@UniHeidelberg Unter dem Oberkapitel "Staatswesen" noch "Deutschlands Wehrstand" (bei den Kriegervereinen wird u.a. auf ihr soziales Engagement verwiesen), "Das dt Kolonialwesen" u. "Das staatl. Verkehrswesen". Der Kolonialismus wird rein ökonomisch beurteilt. Hier das chauvinistische Urteil
@UniHeidelberg Weitere Oberkapitel sind die Wissenschaft und "Das Wirtschaftsleben", in dem Helene Lange die Frauenbewegung vorstellt: Ihr geht es um die "Vollendung der Menschheit"; sie beruft sich auf die "englisch-amerikanische Frauenbewegung" und deren Motto "organized mother love".
@UniHeidelberg Es fehlen die Sozialdemokratinnen, wobei dieses bürgerliche Buchprojekt von 1900 überhaupt wenig für die Sozialdemokratie übrig hat.
Das Buch strotzt vor Selbstbewusstsein und Nationalismus, was damals typisch europäisch war (und heute ein bissele an Trump erinnert)
@UniHeidelberg Die Grundlage ist aber ein starkes europäisches Gefühl der "Zivilisation", oft ist von friedlichem Wettbewerb die Rede, der Krieg ist weit weg. Typisch für die Zeit um 1900 dieses Zitat von Georg Siemens. Auch weite Teilen des Bürgertums strebten gewiss nicht auf einen Krieg zu.
Nachtrag zu Ines Seidel: @BirteFoerster zeigt sie als wirkmächtige Hymnendichterin auf Königin Luise , der reaktionäre Frauen in Lieder, Festen, Vereinen huldigten
books.google.dk/books?id=JSgjC…
@UniHeidelberg Übrigens, interessant, wie der "Burgfriede" (ALLE Parteien für den Krieg) am 4. August 1914 geschlossen wurde, in dem der Kaiser die Worte sprach: „Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur noch Deutsche!"
reichstagsprotokolle.de/Blatt_k13_bsb0…
@UniHeidelberg Der "Burgfriede" zeigt u.a. die Macht des Parlaments. Verfassungsrechtlich musste der Reichstag dem Krieg nicht zustimmen, aber durch das Budgetrecht musste er eben doch einwilligen. Daher wurde der 4. August notwendig. Das Treffen fand im Weißen Saal des Berliner Schlosses statt
@UniHeidelberg Die Sozialdemokraten kamen nicht, denn sie wollten, dass der Kaiser im Reichstag sprach. So zeigt sich am 4.8.14 die Bedeutung des Parlaments und zugleich die Macht des Monarchen. Die Rede des Kaisers freilich hatte Kanzler Bethmann Hollweg geschrieben.
(Bild des Weißen Saals)
@UniHeidelberg Dazu übrigens eine gute Zusammenfassung von @PatBorm:
1000dokumente.de/index.html?c=d…
@UniHeidelberg @PatBorm In Frankreich hieß das Pendant zum "Burgfrieden" übrigens Union Sacrée. Hier das frz. Parlament - ebenfalls am 4. August 1914:
sciencespo.fr/bibliotheque/f…
@UniHeidelberg @PatBorm Wie konnte es also zur Urkatastrophe, zum Ersten Weltkrieg, kommen? Es gibt (natürlich) vielfältige Ursachen, aber eine war, dass fatalerweise die Massenpolitisierung und Demokratisierung um 1900 zur Kriegsdynamik beitrug. Darauf verweist u.a. Ulrich Herbert:
@UniHeidelberg @PatBorm Außenpolitik war nicht mehr losgelöst von der Innenpolitik. Diplomatie musste Rücksicht auf Stimmungen nehmen. Massenmedien, Parteien, Verbände drängten mit nationalistischer Gesinnung auf den Krieg. Allein diese Dynamiken waren kaum zu stoppen. Ein gesamteuropäisches Phänomen.
@UniHeidelberg @PatBorm Die Einbeziehung der Parlamente zum Auftakt des Ersten Weltkriegs war keine leere Geste, sondern in allen Industrienationen Ausdruck der gewachsenen Macht des Volkes.
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