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Hedwig Richter @RichterHedwig
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Weil es gestern so heftige Diskussionen um den US-Senat gab, hier ein paar historische Erwägungen zur "Ersten Kammer" (als die sie ursprünglich meistens gedacht war).
Keine Frage: Die Erste Kammer (neben der gewählten) war klar ein Instrument, um Demokratie einzuhegen - wie ja überhaupt die Geschichte der Demokratie die Geschichte ihrer Einhegung ist.
Max Weber: Oberhäuser haben „mit Volksvertretung […] schlechterdings gar nichts zu schaffen. Sie bilden der Idee nach ein Gegengewicht“. (Checks and Balances sind ja keine amerikanische Erfindung, just saying.)
Theoretische Überlegungen im 19. Jh. sahen die erste Kammer wie in England als „erbliche Kammer“ des Adels. Sie sollte die gewählte zweite Kammer einhegen.
(Hier das House of Lords der Königin lauschend, 18. Jh.)
Die liberalen Bürger im 19. Jh. hatten eine neue Idee: Die erste Kammer sollte das Haus der besonders Erfolgreichen und Einflussreichen sein, so dass das passive Wahlrecht dafür häufig an einen besonders hohen Zensus gebunden wurde.
In den USA galt der Senat explizit als Parlament der „better sort“: Senatoren wurden für sechs Jahre bestimmt – die Abgeordneten im Repräsentantenhaus nur für zwei Jahre. Der Senat wurde nie komplett ausgewechselt, nur gestaffelt wurde alle zwei Jahre 1/3 der Senatoren abgelöst.
Das ganze 19. Jahrhundert hindurch gab es US-Saaten, in denen Senatoren nicht durch Volkswahl, sondern von Staatsregierungen gekürt wurden. In manchen Einzelstaaten wie New York oder North Carolina galt für die Wähler der ersten Kammer ein höherer Besitzzensus.
Eine gewisse Distanz des US-Senats zum Volkeswillen schuf darüber hinaus die Tatsache, dass jeder Staat unabhängig von seiner Bevölkerungszahl auf Bundesebene zwei Senatoren stellte.
Weil es so besonders spannend ist noch ein Blick auf South Carolina: Dort wurde die erste Kammer des Staates ebenso elitär besetzt, so dass das reiche Lowcountry an der Ostküste mit den wohlhabenden Plantagenbesitzern und reichen Händlern darin stets ein Übergewicht hatte -
- das wurde durch die Übermacht des Senats gegenüber dem Repräsentantenhaus South Carolinas potenziert. Der Bürgerkrieg beendete in den 1860er Jahren zuerst diese Ungleichheit gegenüber armen Weißen, bevor SC von Washington gezwungen wurde, auch Afroamerikaner zu ermächtigen.
In dt. Ländern wurden – typisch für Oberhäuser generell – die ersten Kammern häufig nicht nur mit Adligen besetzt, sondern auch durch eine Vertretung der Kirchen oder Universitäten (die in Baden z.B. über viele Jahre der Liberale Carl v Rotteck für die Uni Freiburger innehatte).
In manchen Ländern wie Württemberg und Baden besaßen auch Vertreter von Handel oder Industrie einen festen Sitz im Oberhaus.
In Preußen trug die Erste Kammer wohl nicht wenig zur Beruhigung der Gemüter bei. In diesem „Junkerparlament“, wie es Spötter nannten, saßen überwiegend Mitglieder des Adels, die ihren Sitz erbten oder auf Lebenszeit verliehen bekommen hatten.
Die Kammer hatte eine sehr beschränkte Außenwirkung, besaß jedoch ein beachtliches Vetorecht. Darin glich sie dem englischen „Upper House“, das ebenso wenig demokratisch legitimiert war wie das preußische.
Übrigens: als die Sozialdemokraten bei den Reichstagswahlen 1912 ihren überwältigenden Sieg mit einem Drittel aller Stimmen einfuhren, wurden die Rufe laut, zu ihrer Abwehr ein „Reichsoberhaus“ einzurichten.
Sind Oberhäuser (als Teil des Check&Balances) nicht eine kluge Erfindung, um die Gefahr einer "Tyrannei der Mehrheit" zu dämpfen, die Angst vor Demokratie einzuschränken und damit Demokratie überhaupt zu ermöglichen?
Übrigens, es wäre ein interessantes Forschungsprojekt, die Männlichkeitsideale in den beiden Häusern zu vergleichen. Da ließe sich bestimmt viel über Macht und Politikwandel in der jeweiligen Zeit verstehen.
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