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Ein paar Gedanken zur Aktion „Sucht nach uns“ des ZPS

Politische Kunst kann und soll Tabus brechen, um Themen qua Aufregung ins Gespräch zu bringen. Es ist also nicht grundsätzlich falsch, wenn Menschen in ihrem moralischen Empfinden gestört und soweit aufgeschreckt werden, ...
... dass eine öffentliche Diskussion stattfindet. Dann allerdings sollte diese Diskussion von der reinen Aufregung hin in sachliche Bahnen gelenkt werden - ein Schritt, der gründlich durchdacht und vorgeplant sein will.
Auch dieser Schritt liegt, so sehe ich das, in der Verantwortung des Künstlers. Eine „Wir machen erstmal Rabatz und dann schauen wir mal“-Attitüde funktioniert da nicht und wirkt sich kontraproduktiv aus. Im schlimmsten Fall wird das angesteuerte Thema komplett verfehlt ...
... und der öffentliche Diskurs beschäftigt sich mit dem in den Vordergrund gerückten „Aufreger“.

Die Idee, die Rolle des Konservatismus bei der Machtübernahme anzuprangern, ist sinnvoll und richtig. Einen Bogen zum Holocaust zu schlagen, um mit dem stark emotionsgeladenen ...
... und schmerzhaften Ergebnis dieser Machtübernahme den Blick zurück zu lenken, ist dabei zwar, was den Aufregungseffekt angeht, sehr wirkungsvoll, verschiebt aber auch fast zwangsläufig die Diskussion. Schon hier hätte man ahnen können, dass man (ob absichtlich oder ...
... aus purer Schusseligkeit) leicht jede Menge Porzellan zerschlagen kann. Entsprechend kann man erwarten, dass es bei der Planung einen Punkt gegeben haben muss, an dem man sich als Künstler (und eben nicht tief in der Materie steckender Historiker) Rat und Hilfe ...
... bei den entsprechenden Verbänden und Fachleuten hätte suchen müssen - schon, um den Vorwurf der Aneignung und Ausnutzung der Opfer zu entgehen.

Das dies dem ZPS nicht gänzlich unklar gewesen sein kann, geht für mich aus dem Anspruch hervor, die Aktion ...
... wissenschaftlich unterfüttern zu wollen. Wer zwei Jahre lang Untersuchungen durchführt, begleitende Bücher erstellt etc., weiß um die Sensibilität des Themas (Anm.: Mit der Qualität der Untersuchungen beschäftige ich mich an dieser Stelle nicht, ...
... es gibt einige Menschen, die da tiefer eingestiegen sind).

Kann man eine Stele aufstellen und sich ausreichend diffus äußern, so dass Menschen annehmen, es handele sich um menschliche Überreste aus Vernichtungslagern?
Natürlich, man kann das tun - wenn man sich zuvor mit den Betroffenen koordiniert hat und den „Aufreger“ wenig später erklärend auflöst. Im Idealfall hätte man darauf verweisen können, dass man nur den Blick auf ein vermeintlich zu wenig diskutiertes Thema ...
... habe lenken wollen, man hätte versichern können, alle moralischen Bedenken berücksichtigt zu haben, man hätte auf weiterführende Forschungen verweisen können etc. Damit hätte auch die Chance bestanden, zum inzwischen längst vergessenen eigentlichen Thema der Aktion ...
... zurückzukehren. Das zumindest wäre die Vorgehensweise, die ich bei ernsthafter Planung über die Publicity-Wirkung hinaus erwarten würde und es ist auch die Grundlage, auf der ich eine solche Aktion befürworte bzw. jetzt revidiere.

Stattdessen hat das ZPS (zumindest für ...
... mich in verwirrender Form) von Grabungen an verschiedenen Lagern, dem Bemühen, nicht zu tief in den Harmenser Damm vordringen zu wollen etc. und von einem Bohrkern aus Deutschland, der menschliche Überreste enthalten soll, gesprochen und in teilweise unbeholfener ...
... bis flapsiger Art mögliche positive Aspekte der Aktion vor die Wand getextet bzw. den Eindruck nachlässiger Ignoranz verstärkt. Diese merkwürdige Kommunikationsstrategie hat nun einige Folgen:
Man spricht überhaupt nicht mehr über das Thema der Aktion (was, am Rande bemerkt, das ZPS nicht sehr zu stören scheint). Die mögliche sachliche Diskussion über die Frage, wie man denn mit Asche, die großräumig verteilt wurde (und aus der Wahrnehmung der weiteren ...
... Öffentlichkeit vermutlich verschwunden ist), umgehen soll, tritt komplett zurück hinter die moralische Entrüstung über die Objektivierung der Opfer (ob beabsichtigt oder nicht spielt an dieser Stelle kaum eine Rolle) und die empfundene Pietätlosigkeit. Es wurden in ...
... weiten Teilen Menschen, die potentiell hinter der ursprünglichen Idee stehen würden, verärgert und beleidigt. Entsprechend fiel die Reaktion notwendiger Befürworter in den Verbänden dann auch aus. Damit ist bei der Aktion des ZPS nahezu alles schiefgegangen, was in ...
... einem solchen Fall schiefgehen kann. Auch das nachgeschobene entschuldigende Statement ändert da wenig.

Was bleibt, ist ein merkwürdiger bis trauriger Eindruck - zum einen, weil es Berichte über weitere Aschesäulen gab, zu denen sich das ZPS erst spät geäußert hat, ...
... zum anderen, weil es anscheinend auch Urheberrechtsverletzungen (wieder ein Mangel an vorheriger Kommunikation?) gab. Bedauernswert ist aber auch, dass die Thematisierung der Rolle bürgerlich-konservativer Politik ...
... als Steigbügelhalter der Machtergreifung und die möglichen Parallelen in der aktuellen Politik verdrängt wurde und Aktionen wie die „Entführung“ von Papens nur noch wie ein ...
... weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindender trauriger Nachklapp wirken, aber jede Schlagkraft verloren haben. /FIN
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