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Was mir als Teenager in der BRD nach Deutschem Herbst aufgewachsen schon auf'n Keks ging und mir bis heute (nach 10 Jahren in Leipzig, 12 in Graz und Wien, jetzt wieder Ruhrpott) nicht einleuchtet, ist folgendes:
In Deutschland wurde v. faschistischen Nationalsozialisten millionenfacher systematischer Mord verübt, deutsche Faschisten haben Krieg gebracht, weltweit. Mit unzählbaren Millionen Toten, Zerstörung, Leid, Elend, abgrundtiefer Not. Am Ende verdient (!) auch f. Deutsche selbst.
Nach dem Krieg war Deutschland besetzt, konservative Besatzer haben nach naiven Märchen Persilscheine ausgestellt, nur eine Handvoll Leute wurde gerichtet, der Rest beschützt, reingewaschen, verharmlost. Gerade noch offene Faschisten, Menschen die es für gerechtfertigt und
erklärbar hielten, dass and. Menschen aufgrund religiöser od ethnischer Zugehörigkeit in Massen ermordert werden dürfen, konnten übergangslos ihr pers. Wirtschaftswunder erleben, Geld verdienen, Kinder großziehen. Was sie anderen mit einem Nicken genommen haben.
Stramme Faschisten, überzeugte Nazis durften unter dem Deckmantel, sie hätten nichts gewusst od. zum. nicht selbst Hand angelegt od. "nur" Befehle ausgeführt, ihre innere Überzeugung unter bürgerlicher Kleidung und Attitüde einfach beibehalten, ihr Leben leben, Erfolg haben.
In den 60ern haben dann deren Kinder das erste Mal gegen Schweigen & Deckmäntel demonstriert, sich geweigert, weiterhin von diesen Leuten beeinflusst zu werden & sich unterschwellig vorschreiben zu lassen, was ein guter Deutscher ist, wie der sich zu benehmen hat, zu sein hat.
Trotzdem sitzt diese Generation Nazis an allen Hebeln, in allen Ämtern, in allen Machtpositionen.
Schreibt denen, die endlich den Mund aufmachen und nicht nächste Leidtragende sein wollen, Krawall und Bambule auf die Fahnen, macht aus Studierenden gefährliche Subversive.
Protestanten werden nicht nur zu Terroristen gemacht, sie werden ins Dunkel gedrängt, eine ganze Nation wird von Springer überzeugt, linkes Gedankengut sei des Teufels. Es könne Deutschland nichts Schlimmeres passieren, als Studenten mit antikapitalistischen & antifaschistischen
Gedanken.
Nach 12 Jahren Macht mit 6 Jahren Krieg und Abermillionen Toten noch nicht mal eine Generation her, sind antifaschistische Gedanken -die als Grundkonsens deklariert wurden- das erste Mal wieder mit aller zur Verfügung stehenden Macht zu bekämpfen. Während sich braune
Sesselfurzer ins Fäustchen lachen, ihre Penunsen ins Trockene bringen, auf gestohlenem Eigentum Reichtum anhäufen, ihre kranke Kruppstahlschwurbelei auf ihre Kinder ergießen, längst wieder netzwerken und ihrem feigen Führer hinterherjammern, unter dem sie keine bürgerliche Maske
tragen mussten, was alles ist, was sie von offenem Menschenhass abhält. Die Unsagbarkeit ihrer kruden Gedanken resultiert nicht aus Scham, Bewusstsein, Verantwortung, nein, es ist nur nicht das, was die Nachbarn über einen wissen sollen. Es wurde nicht entnazifiziert, der Dreck
wurde nur gleichmäßig unter'n Flokati gekehrt, nicht entsorgt. Ehemalige Widerständler finden sich in der SPD, die vor lauter Sorge vor Anschuldigungen linker Gesinnung, die sie zu russischen Kommunisten machen könnte, auch nur noch bürgerliche "Werte" vertreten, statt
ein echtes Kontraprogramm zu starten und in irgendeiner Form ihre ehemalige Widerstandsgeschichte zur Bastion sozial gerechter Politik zu machen. Klar, gab ja auch die Russen, den eisernen Vorhang, Hoover, die Mauer -den antifaschistischen/ antiimperialistischen Schutzwall-
damit will nu' auch der sozialste BRD-Bürger sich nicht gemein machen. Und am Ende ist ja auch der "real existierende Sozialismus" nicht das Gelbe vom Ei, mit sozial hat diese Form der Tyrannei ooch bloß nüscht zu tun.
Aber ich bin in der BRD.
In den 70ern bricht der Deutsche Herbst an, eine Handvoll Leute verstrickt sich in ehemals nachvollziehbaren Diskursen, radikalisiert sich und startet Terror. Morde sind immer scheiße, egal mit welchen Motiven, denke ich. Terror ist immer scheiße, egal wie hehr die Ziele mal
gewesen sein mögen.

Mit sämtlicher vorhandenen Exekutiv- und Judikation geht die BRD gegen diese Gruppierung vor. Springer stielt national die Bürger darauf ein, das Wort links nur noch mit Verachtung auszuspucken, es gibt -30 Jahre nach Hitler- nicht viel, was schlimmer ist,
als der Verdacht, links zu sein. RAF-Fahndungsplakate hängen in jeder Postfiliale, es wird in allen Medien breit darüber berichtet, niemand fragt:"oder sollen wir es lassen?". Jede ansatzweise Erklärung der Forderungen, jeder Gedanke, der nicht sofortige Vollverurteilung
beinhaltet, macht Dich zum RAF-Terror-Unterstützer, zum Krawallo, schlimmer geht es nicht. Kein einziger Journalist würde Neutralität beanspruchen, die Meinungsfreiheit in Gefahr sehen, weil man Baader & Meinhof nicht zumindest 18x interviewt hat.
Immer noch sitzen "ehemalige" Nazis, Faschisten, Mitläufer in allen Ämtern, drehen an den Schaltern, unterschreiben wichtige Dokumente, sind in Amt und Würden.
Längst netzwerken sie nicht mehr heimlich, sie finden wieder politischen Ausdruck in Parteien.
In den 90ern brannten Häuser in Moelln, in Solingen. Ich bin das erste Mal demonstrieren gegangen gegen Nazis mitten im Ruhrgebiet. "Dortmund ist bunt, statt braun". In Leipzig -6 Jahre nach der Wende- meide ich Viertel, weil das bekannte Nazi-Kieze sind. Ich bange um meine
Freunde mit anderer Hautfarbe, wenn sie mich mit dem Zug besuchen kommen, weil sie durch Zwickau und Chemnitz fahren müssen. Ich ziehe nach Graz und bei der Stadteinfahrt grüsst mich "Pummerin statt Muhezzin" oder "Heimatliebe statt Marrokanerdiebe" auf Wahlplakaten.
Inzwischen gibt es Hunderte Einzelfälle rechtsradikaler Polizisten, Soldaten, Menschen werden bedroht, beschimpft, offen bespuckt, ein rechtsradikaler Terrorverband hat zig Menschen ermordet, Politiker werden beschossen & getötet, auf Pressekonferenzen wird der
nicht vorhandene Migrationshintergrund dreimal in Frage gestellt, Zeitungen beraten, ob man Flüchtlinge nicht doch sterben lassen will, ein Kanzler sagt, es wird nicht ohne hässliche Bilder gehen.
Es werden Wurzeln bis ins dritte Glied aufgespalten, um "kulturelle
Unterschiede" zu finden, "Identitäre" kleiden blanken Rassismus in "Ethnopluralismus", rechte Verlage, Schriftsteller, Musiker schießen wie Pilze aus dem Boden, incels schließen sich mit white supremacists zusammen, unterscheiden Bio- und Pass-Deutsche.
Und wir reden ernsthaft noch immer über die Gefahr von Linksradikalität, weil auf drei Demos linke Anarchisten Bengalos werfen und die Scheibe eines Mercedes zu Bruch geht?

Wir reden immer noch von Gefahren von Links?
Ich rede hier nicht über eine Demo, auf der ich nicht war! Es geht mir um vollkommene Verschiebung von Verhältnismäßigkeiten, wenn jeder linke Mittelfinger zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen aufgebauscht wird, während Nazis in Chemnitz Menschen jagen und

danach ernsthaft über den Grad der Schlimmheit des Wortes Hetzjagd diskutiert wird, nachdem genau das auf Videos belegt ist.

Ja, Linke zünden Autos an, finde ich persönlich eher mau. Und Gewalt finde ich grundsätzlich scheiße. Aber Verhältnismäßigkeiten sind wichtig, nach
ständigen Repressionen und staatlicher Gewalt solche Ausbrüche zu Rieseneklats zu machen, nachdem keine Sau sich mehr für den NSU, Walter Lübke interessiert & unaufhörliche Todesdrohungen an Menschen aller Hautfarben außer Kalkweiß zur Tagesordnung gehören.
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