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Thread. Besonders gerichtet an Konsumenten ökonomischer Expertise, also Journalisten und Politiker. Es heißt ja oft: wie sollen wir gute von schlechten Ökonomen unterscheiden, wer hat da Recht, sind das nicht eh alles bloße Meinungen, etc.?
Nun, es ist in der Tat oft wirklich nicht einfach, ein gutes von einem schlechten ökonomischen Argument zu unterscheiden, ein starkes Stück von einem guten Stück Evidenz, ganz einfach weil dies oft - zumindest gegeben Wissensstand - nicht möglich ist.
Das heißt nun aber im Umkehrschluss nicht, dass es nicht ziemlich eindeutig schlechte ökonomische Argumente gibt. Und damit gibt es dann auch ein Kriterium für eindeutig und objektiv schlechte Ökonomen: solche, die solch eindeutig schlechten Argumente zumindest häufiger machen.
Das ist bis jetzt alles ziemlich abstrakt, aber ich stieß gestern auf ein konkretes, ziemlich eklatantes Beispiel (wo tut nichts zur Sache): dem Tag entsprechend ging es um #Brexit . Es wurde folgendes Argument gemacht:
Weil UK ja nach der Brexitentscheidung ordentlich gewachsen ist, könne der Brexit ja gar keine so negativen wirtschaftlichen Auswirkungen in UK gehabt haben. Daher seien - wieder einmal - alle Ökonomen diskreditiert, die ein Gloom-and-Doom Szenario vorhergesagt hätten.
Dieses Argument kam von zwei Ökonomen, die durchaus - in unterschiedlicher Stellung - publizistisch oder beratend in Deutschland Einfluss haben.
Dabei ist es ganz wichtig zu erkennen, dass beide Aussagen einfach und objektiv falsch sind (die zweite ist “falsch”, weil sie aus der ersten Aussage abgeleitet wurde; der Kerninhalt nach dem “daher” könnte sich natürlich als richtig erweisen, wir wissen es (noch) nicht).
Und das hat nun nichts, aber auch gar nichts damit zu tun, welche Einstellung zu Brexit man hat, etc. Hier geht es um objektive Falschheit.
Warum? Nun, weil solche reinen Vorher-Nachher Analysen keine Aussagen über das treffen, was Ökonomen technisch ein Counterfactual nennen. Auf Deutsch bedeutet dies: um bestimmen zu können, welche Auswirkungen auf die Ökonomie UKs hatte, muss man erst einmal spezifizieren, was mit
UK ohne den Brexit geschehen wäre. Ohne dieses Counterfactual sind Vorher-Nachher-Analysen für Kausalaussagen wirklich blanker Unsinn. Es kann ja sein, dass UK auch ohne Brexit super toll gewachsen wäre, und dass Brexit dieses Wachstum aber vermindert hat. Es kann umgekehrt sein,
dass UK ohne Brexit ein Nullwachstum gehabt hätte, der Brexit, wie die Brexiteers behaupten, die Marktkräfte entfesselt hat, und so sogar zu einem positiven Wachstum erst beigetragen hat. Beides ist dem Vorher-Nachher-Befund kompatibel.
Das heißt nun für Konsumenten ökonomischer Expertise: fragen Sie den Ökonomen bei solchen Vorher-Nachher-Aussagen, die als Kausalaussagen daherkommen, immer nach seinem/ihrem Counterfactual. Wenn er/sie keines hat: sofort auflegen/umdrehen/ausschalten. Er/sie ist ein Scharlatan!
Gute Ökonomen erkennt man umgekehrt daran, dass sie ein Counterfactual in solchen Situationen haben. Um zu einem solchen zu gelangen, hat die Ökonomik nun verschiedene Techniken bereitgestellt. Das können oft rein empirische Techniken sein, bis hin zu Modellen.
Nun wird man einwenden: ja, aber solche Modelle und empirischen Methoden sind doch viel zu opak, die verstehe ich nicht, und die Ökonomen sind sich ja am Ende auch uneins, welche Methode am besten ist. Da ist die einfache Vorher-Nachher-Analyse doch viel transparenter.
Der erste Teil der obigen Aussage stimmt zum Teil (obwohl es da auch Gütekriterien gibt, die aber oft subtiler sind). Die obige Konklusion folgt aber nicht. Solche Modelle und empirischen Methoden sind unvermeidlich. Damit auch eine gewisse Subjektivität.
Denn auch der Vorher-Nachher-Analytiker hat ja implizit und insgeheim ein Counterfactual: ohne Brexit hätte UK ein Nullwachstum gehabt. Aber warum soll das richtig sein? Der gute Ökonom gibt Gründe für sein Counterfactual an und macht diese transparent.
Darüber lässt sich dann rational streiten.
Als Beispiel, wie man es beim Brexit richtig machen sollte, sei hier das Papier der Kollegen @bornecon , Müller, @MSchularick und Sedlacek aufgeführt:

academic.oup.com/ej/article-abs…
Hier wird explizit versucht, Counterfactuals zu kreieren. Man muss den Kollegen nun inhaltlich (also die genaue Zahl) nicht glauben (ich halte sie aber für plausibel), andere Studien werden zu anderen Zahlen kommen, aber sie haben methodisch im Prinzip richtig gehandelt.
Kollegen: habt ihr andere Beispiele, wo man offensichtlich und objektiv ausmachen kann, ob ein Ökonom Bullshit verzapft? Wo es eben keine zwei Meinungen geben kann, ob eine konkrete Aussage Bullshit war: @bornecon @makro_philip @christianbaye13 @kuhnmo @PHuenermund @APeichl
soll natürlich “schwaches Stück” heißen...
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