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Es folgt ein Thread zu Krankenkassen, Leistungen und damit verbundenen Problemen. Weil ich mir dachte, haste ja schon genügend damit zu tun gehabt in den letzten Jahren.
Weil im Gesundheitssystem ja immer ein paar Änderungen diskutiert werden und gerne so nachvollziehbare "aber, hier Homöopathie, und was ist mit meiner Brille" Reaktionen kommen.
(Ich bin bei solchen meist neidgetriebenen Gedanken auch etwas guilty as charged, aber zumindest habe ich etwas drüber nachgedacht und werde das mal teilen)
Ich habe für – meinen "Krankheitsfall" – inzwischen ja relativ viel Erfahrung mit Krankenkassen und der Beantragung von Leistungen etc. Dadurch habe ich relativ viel über Krankenkassen und unterschiedliche Kategorien von möglichen Problemen mitbekommen.
Es gibt da Dinge, die sind auf den ersten Blick unfair und wunderlich, aber eigentlich auch wieder nicht. Denn irgendwie steckt da ja ein System dahinter. Das ist im Prinzip meine simplifizierte Sicht darauf.
Krankenkassen sind im Prinzip sowas wie Banken, die für Gesundheitsleistungen Kosten übernehmen. Was anderes macht ne Krankenkasse nicht, außer die eigenen Kosten zu decken und idealerweise Reserven zu bilden.
Als beitragszahlende Person zahlst du (und der Arbeitgeber evtl.) ein, die Krankenkasse zahlt dir als Bank deine Leistungen nach Bewilligung. So die Theorie.
Bei der Bewilligung der Leistungen wird es aber je nach Leistung schon schwierig. Es gibt die einfachen Dinge, Beispiel, klassische Leistungen: versicherte Person hat ne Erkältung, bekommt Mittel gegen Erkältung.
Das Mittel gegen die Erkältung kostet wenig, sein Nutzen ist erwiesen, also geht das auch einwandfrei durch. Das kann die Bank dann von alleine zahlen, keine Diskussion.
Nun gibt es noch einfache, alternative Leistungen neben so einfachen klassischen Leistungen. Homöopathie beispielsweise. Das darf eine Kasse auch anbieten, dazu gibt es dann Rahmenverträge und die Kasse kann das so in ihren Leistungskatalog aufnehmen.
Die Wirksamkeit ist m.E. nicht erwiesen, kostet aber meist wenig. Und da es dafür dann Rahmenverträge gibt, geht das dann auch. Krankenkassen machen das auch, weil das der Markt schlichtweg will. Ist ein Marketing-Argument für oder gegen eine Krankenkasse.
Nun gibt es bei günstigen, klassischen Medikamenten z.B. schon die ersten Probleme: Off-Label-Use zum Beispiel. Also die Verwendung eines Medikaments über den zugelassenen Gebrauch hinaus. Nun gibt es für manche Erkrankungen / Therapien quasi nur Off-Label-Medikamente.
Meine Medikation als trans Frau waren zum Beispiel eigentlich Medikamente gegen Hypersexualität oder Medikamente zur Behandlung von Wechseljahresbeschwerden. Beides sind nicht meine Beschwerden.
Alles sehr off-label eigentlich, aber naja: ein hormonelles, offiziell zugelassenes Medikament für trans Frauen etwa gibt es eigentlich nicht. Kann die Bewilligung von Medikamenten daher gerne mal Probleme machen.
Anderes Problem hin und wieder: andere Packungsgrößen. Es sollen ja immer nur Arzneimittel für den jeweiligen Bedarf verordnet werden, nicht zu viel, nicht zu wenig. Klingt sinnvoll. Deshalb gibt es Normgrößen.
Auch hier falle ich wohl etwas aus dem Rahmen, weil ich halt immer die doppelte Menge einer Normgröße bekomme. Von einem Medikament, bei dem ich allerdings auch den dreifachen Normbedarf habe.
Macht für die Kasse kostentechnisch aber null Unterschied. Für meine Zuzahlung auch nicht. Trotzdem könnte das mit der Packungsgröße ein Problem sein.
Kommen wir nun den etwas teureren Leistungskategorien, die nicht extra bewilligt werden müssten: Brillen zum Beispiel. Als Kind wurden meine Brillen ausnahmslos voll von der Kasse gezahlt (bis etwa 2003).
Inzwischen gibt es relativ praxisferne Regelungen, dass Sehhilfen nur bei sehr starken Sehfehlern übernommen werden.
Heißt für mich als Mensch mit einer starken Hornhautverkrümmung: Ohne Brille kannst du zwar gar nichts wirklich lesen, aber deine Verkrümmung ist nicht so stark, dass eine Sehhilfe übernommen werden würde. Macht dann bei jeder Brille zwei Gläser zu Spezialpreisen.
Brillen wären für die Kasse aber halt eine eigentlich diskussionsfreie Kategorie von Leistungen, die so mittelteuer sind, bei denen der Gesetzgeber irgendwann mal Bedingungen geschaffen hat, um Kosten zu senken.
Und die Kosten für Sehhilfen sind dann meistens immer für die Einzelperson noch so im Rahmen, dass diese einer beitragszahlenden Person im Rahmen einer Außergewöhnlichen Belastung zumutbar sind. Doppelt Pech.
Kommen wir zu den komplizierten, sprich noch teureren Leistungen. Und da wird es dann schnell schwierig, da hier meistens der MDK - der Medizinische Dienst der Krankenversicherung - drinhängt.
Der soll sicherstellen, dass die Leistungen allen Versicherten zu gleichen Bedingungen zukommen. Das heißt aber auch: ein unabhängiger Dienst prüft in jedem Fall, in dem er involviert ist, neu.
Als trans Mensch hast du erstaunlich häufig indirekt mit dem MDK zu tun. Psychotherapie? MDK. Nadelepilation? MDK. Operationen? MDK. Bei jeder Leistung neu und jedes Mal mit ungewissem Ausgang.
Kassen-Leistungen beim MDK bewilligt zu bekommen ist meiner Erfahrung nach irgendwie 50% Glück, 25% Geduld und 25% Papierkrieg, notfalls mit zusätzlichen Gutachten auf eigene Kosten (außergewöhnliche Belastung und so). Und das jedes Mal aufs Neue.
Und das ist das, was einerseits fair klingt, eine betroffene Person aber jedes Mal aufs Neue fertig machen kann. So die Person überhaupt die Kraft dazu hat.
Die Leitlinien des MDK sehen auch immer vor, dass eine Leistung "ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich" sein solle.
Was dann teils dazu führt, dass Menschen mit einer Suizidgefahr etwa keine Leistung bekommen (nicht wirtschaftlich?), obwohl die Leistung helfen könnte. Oder dass bestimmte Therapieformen auch nicht bewilligt werden (weil nicht wirtschaftlich oder nicht zweckmäßig).
Die Definition von "ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich" scheint da manchmal wahllos. Leider jedes Mal aufs Neue im jeweiligen Einzelfall.
Und selbst wenn eine Leistung vom MDK als bewilligt gilt, kann es trotzdem noch sein, dass die Krankenkasse die Leistung dann doch nicht übernimmt. Weil es zum Beispiel keine Leistungserbringer gibt, die mit der Krankenkasse abrechnen können (Beispiel Nadelepilation).
Warum schreibe ich das alles? Ich denke mir bei geplanten Änderungen an Kassenleistungen auch immer: aber hier, was ist mit meiner Brille.
Und naja, weil ich immer wieder mitbekomme, dass Menschen mir oder anderen Personen, speziell im trans Umfeld, mit so Kommentaren kommen wie "aber ihr bekommt doch teur X auf Kasse".
Ja. Aber auch nur, weil wir in jedem Fall den ganzen Zirkus mit MDK und Kasse aufs neue durchgemacht haben. Und auch immer etwas Glück hatten. Oder auch nicht.
Es gibt keinen Zusammenhang von der Bewilligung meiner Leistungen und der Ablehnung einer anderen. So ist das System, unfair und fair zugleich.
Und wenn ich mich auch gern über Homöopathie aufrege: Leider würden meine Brillen dadurch auch nicht erstattet, weil ganz anderer Leistungskatalog.
Wenn irgendwelche neuen Leistungen in den Katalog der Kassen aufgenommen werden, ändert das leider nichts an den Problemen mit den bestehenden.
Es ist ein sehr verworrenes System…
Fin. 🤑👩‍⚕️
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