, 11 tweets, 2 min read Read on Twitter
Ein paar Worte zu den #GiletsJaunes und der deutschen Presse, weil es doch symptomatisch ist, wie kurz gedacht im Sinne von unhistorisch und kontextfrei und einseitig systemimmanent mittlerweile die Sicht auf die Welt in vielen Medien geworden ist.
Denn wie will man ein Phänomen verstehen, die Wut auf die bestehenden Verhältnisse, wenn man sich weigert, die Verhältnisse selbst als das Problem zu sehen und damit die Proteste pathologisiert und letztlich entpolitisiert?
Wie will man die Gelbwesten verstehen, wenn man sich all die Jahre nicht die Mühe gemacht hat, die unterschiedlichen Stufen des Protestes zu analysieren oder wenigstens zu akzeptieren als Realität im Sinne von „sagen, was ist“?
Wie will man also ein Gesellschaft wie die französische beschreiben, ohne Nuit Debout, wo sich der Widerstand gegen die gegenwärtige ökonomische Praxis den Stadtraum erobert hat, und ohne France Insoumise, wo dieser Widerstand seine politische Form gefunden hat?
Wie will man also, ganz generell, über Ungleichheit, die Folgen einer fehlgeleiteten Globalisierung und die Verwerfungen einer Gesellschaft berichten, wenn man sich entschieden hat, dass mehr oder weniger ausschließlich „Reformen“ bzw. „Reformunfähigkeit“ das Thema ist?
Was in den vergangenen Jahren deutlich geworden ist: Viele Medien, selten genug Stimme der Schwachen, wie es ja durchaus ihr Auftrag wäre, haben sich entschieden, Stimme eines Systems zu sein, das sich in angeblicher oder angstvoller Unveränderbarkeit verliert -
und damit die immer größere Wut erzeugt und den Druck, die Aggression, die Rücksichts- und Rückhaltlosigkeit, die sich jede Woche aufs Neue in Gestalt der Gelbwesten zeigen.
Gewalt ist sehr selten einseitig, sie ist das Ergebnis eines Prozesses - und wenn in vielen Berichten über die Gelbwesten die Gewalt einseitig verortet wird, sollte dem denkenden Journalisten auffallen, dass das alles möglicherweise nicht ganz so einfach ist.
Warum also ist die Berichterstattung spärlich und einseitig? Warum werden Berichte verhindert, die eine andere Sicht schildern? Warum ist die Angst in diesem Milieu so groß, dass es wohl als wichtigster Auftrag gesehen wird, den Status Quo unbedingt zu verteidigen?
Journalismus sollte nicht einseitig sein, hört man derzeit oft, sollte keine „Haltung“ haben; es geht bei dieser Diskussion aber nicht um die Gelbwesten, es geht nicht um die Frage, wie veränderbar die gegenwärtigen Verhältnisse sind.
Was sich hier zeigt, ist ein Journalismus, der aus der Rationalität der Macht heraus berichtet und letztlich mit der Macht paktiert - und damit seinen Auftrag verrät, die Zeiten so zeigen, wie sie sind.
Missing some Tweet in this thread?
You can try to force a refresh.

Like this thread? Get email updates or save it to PDF!

Subscribe to Georg Diez
Profile picture

Get real-time email alerts when new unrolls are available from this author!

This content may be removed anytime!

Twitter may remove this content at anytime, convert it as a PDF, save and print for later use!

Try unrolling a thread yourself!

how to unroll video

1) Follow Thread Reader App on Twitter so you can easily mention us!

2) Go to a Twitter thread (series of Tweets by the same owner) and mention us with a keyword "unroll" @threadreaderapp unroll

You can practice here first or read more on our help page!

Follow Us on Twitter!

Did Thread Reader help you today?

Support us! We are indie developers!


This site is made by just three indie developers on a laptop doing marketing, support and development! Read more about the story.

Become a Premium Member ($3.00/month or $30.00/year) and get exclusive features!

Become Premium

Too expensive? Make a small donation by buying us coffee ($5) or help with server cost ($10)

Donate via Paypal Become our Patreon

Thank you for your support!