Thread by @Gregor_Wakounig

In Hongkong wurde gerade das Parlament besetzt, nachdem es in den letzten Wochen Massenproteste mit bis zu zwei Millionen TeilnehmerInnen gegeben hat.
Ich versuche hier für deutschsprachige Linke, die von Asien im Allgemeinen wenig Ahnung haben, zu erklären worum's geht. Thread.

Initialzündung der Proteste war ein Gesetz, welches die Auslieferung von Menschen an China erlauben würde. Bisher war das nicht der Fall.
"Aber ist Hongkong nicht China??", möchten manche Fragen.
Antwort: Jein.

Hongkong war bis 1997 Teil Englands (Großbritanniens? Keine Ahnung welche Bezeichnung stimmt, ihr wisst was ich meine). Deswegen herrschte dort auch ein westlich-kapitalistisches Wirtschaftssystem sowie eine Demokratie westlich-liberaler Prägung. Freie Wahlen und so weiter.

1997 wurde HK dann an China übergeben. Sprich: Es wurde wieder Teil Chinas.
ABER!!
Damit dies geschehen konnte, musste China zusichern, dass das politisch-wirtscaftliche System HKs für die nächste Jahrzehnte westlich bleibt.
Dafür gibt's nen eigenen Ausdruck: "1 Land 2 Systeme"

Das bedeutet: HK hat vollste Autonomie, die chinesische Regierung sollte 0% Einfluss in die Geschicke Hongkongs haben.
Dies geht so weit, dass bis heute eine Grenze zwischen China und Hongkong besteht. Komplett mit Passkontrollen, Zoll und allem was dazu gehört.

Ein weiterer Unterschied zwischen "Mainland-China" und Hongkong ist die Sprache.
Was viele nicht wissen: "Chinesisch" gibt es nicht. Es gibt chinesische Sprachen. Die grösste Davon heisst "Mandarin". Eine der weiteren großen heisst "Kantonesisch" und wird in HK gesprochen.

Mandarin und Kantonesisch sind voneinander so weit entfernt wie etwa Isländisch und Deutsch. Sprich: Gegenseitig nicht zu verstehen.
Neben Kantonesisch spricht der Großteil der HKerInnen auch noch fließend Englisch.
In Mainland-China dagegen spricht kaum jemand Englisch.

Nun, wir wissen nun, dass HK und CN nicht die gleiche Suppe sind. Zwei Systeme, zwei Sprachen. Westliche Demokratie gegen... ja gegen was denn überhaupt??
Viele Linke würden sagen: "Gegen den chinesischen Sozialismus!", ich sage gegen ein faschistisches, dystopisches System.

Neben Gulags, jährlich tausenden (!) Exekutionen von polit. GegnerInnen und als "kriminell" bewerteten Einzelpersonen ist China heutzutage führend wenn es um die Implementierung einer orwellschen Dystopie geht. Ihr glaubt mir nicht? Weil in der Mao-Bibel steht nix davon? Nun...

In China wird derzeit ein Punktesystem zur Bewertung und Bewachung von Einzelpersonen eingeführt.
"Ein was??"
Nun, stellt euch ganz China als ein großes Videospiel vor. Etwa so wie "Die Sims". Sprich: Jede/r Charakter hat bestimmte "Werte".
Etwa so:

Arbeitsamkeit: 12 Punkte
Faulheit: 8 Punkte
Kriminelle Energie: 13 Punkte
Politische Zuverlässigkeit: 4 Punkte

Das ist natürlich sehr vereinfacht ausgedrückt, aber im Grunde läuft's darauf hinaus.

Was bedeutet das?

Jemand, der nicht genügend Punkte hat, weil er/sie etwa mal falsch geparkt hat (da werden dann Punkte abgezogen), darf beispielsweise nicht in eine andere Provinz ziehen. Oder ins Ausland fahren. Oder bestimmte Produkte kaufen.
Scheisse, oder?

Aber zurück zu Hongkong.
Dort herrscht diese Dystopie noch nicht.
Warum "noch"??
Nun, weil China agressiv versucht, sich Hongkong unter den Nagel zu reissen.
"Und warum"?
Weil HK eine der reichsten Gegenden der Welt ist. Kapitalismus und so, kennste?

"Und wie will China das machen?"
Auf verschiedene Arten und Weisen. Einerseits durch wirtschaftl. Druck, andererseits versucht China sich durch Korruption China-Treue PolitikerInnen in Hongkong zu kaufen.
Sprich: Die zahlen denen Kohle, dafür plädieren die an mehr Anbindung zu CN

Diese Einflussnahme geht so weit, dass China mittlerweile auch direkten Terror gegen pro-demokratische HonkgongerInnen ausübt. 2015 wurde etwa der HKer Buchhändler Gui Minhai während 1 Thailand-Reise vom chinesischen Geheimdienst entführt und war Monatelang in CN inhaftier.

Andere, vor allem kritische und linke Buchhändler wurden direkt in HK(!) vom Chin. Geheimdienst entführt, einige davon auch gefoltert.
Klar ist: China meint es ernst mit der geplanten Annektion Hongkongs und schreckt auch vor Terror nicht zurück.

2014 gab es deswegen die "Umbrella Revolution" in HK. China sollte das Recht bekommen Hongkonger Wahlkandidaten im Voraus zu bestimmen und der CN-Regierung nicht genehme abzulehnen. Hunderttausende protestierten wochenlang, besetzten Stadtviertel und blockierten Strassen usw.

Der Regenschirm wurde zum Symbol der HK-Demokartiebewegung und ist es bis heute, wie das Bild zeigt.
"Und warum 1 Schirm?"
Nun, weil er Schutz bietet vor Pfefferspray-Angriffen. Die Polizei prügelte die Proteste nämlich brutalst nieder. Und versucht das gleiche jetzt zu machen.

Diesmal richten sich die Proteste gegen das Auslieferungsgesetz. Bisher konnte niemand an China ausgeliefert werden.
"Warum?"
Weil es eine faschistische Diktatur ist, da liefert man nicht einfach so aus.
Was China damit will ist, dass DissidentInnen an China ausgeliefert werden.

Hongkong hat etwa 7,5 Mio EinwohnerInnen.
An der größten Demo der letzten Wochen beteiligten sich 2 Millionen(!!) Leute. Also ein viertel der Gesamtbevölkerung.
Nur mal um darzustellen, wie groß die Angst vor eine Annektion HKs durch CN ist.

In diesem Sinne: Mal sehen, was aus der Besetzung des Parlaments wird. Von meiner Seite gibt's jedenfalls viel Solidarität an die Leute in HK!

Falls ich mit diesem Thread ein paar MaoistInnen auf den Schlips getreten bin: Gut so!

Ein 2minütiges Video der New York Times zeigt übrigens die Momente der Erstürmung d. Parlaments und auch, wie erbittert die Kämpfe auf der Straße geführt werden. Die China-treue Regierung HKs geht so weit, Gewalt gegen die eigenen BürgerInnen einzusetzen. nyti.ms/2NE17aX

Hier auch ein deutschsprachiges(!) Video hongkonger AktivistInnen, in dem kurz und knackig die Hauptforderungen erklärt werden.
Außerdem ist es super-professionell gemacht. Schaut es euch an :)

Für frische Infos und vieeel mehr Ahnung zul Thema (u.a. weil Chinesesischkenntnisse) folgt @pm_cheung !