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Einige ergänzende Anmerkungen zum #SpiegelAntisemitismus

in der Affäre um eine propagandistischen Fake-Artikel, mit dem zwei Vereine und ein Mensch medial gerichtet werden sollten.
Es ist in der modernen Antisemitismusforschung Konsens, dass die moderne Form des Antisemitismus (AS) der israelbezogene AS ist. Er hat nichts mit berechtigter Kritik am Staat Israel zu tun und überträgt die in Jahrhunderten entwickelten und kulturell tradierten antisemitischen
Stereotype auf den Staat Israel und seine jüdischen Bewohner als dem jüdischen Kollektiv. Dieser AS hat grundsätzlich nichts mit den arabischen Bürgern in Israel oder im Gebiet der PA zu tun, es gäbe ihn auch ohne den ungelösten isarelisch-palästinensischen Konflikt, und würde
sich ein anderes Objekt seiner Begierde suchen. AS war immer modern; heute kleidet er sich in das Gewand auch menschenrechtlicher Bemühungen. Historisch wurzelt er als Antizionismus in der Judenverfolgung unter Stalin, in den antijüdischen Schauprozessen im ehemaligen Ostblock
und fand seinen Weg in die westlichen Gesellschaften nach dem von Israel überraschend gewonnen Sechstagekrieg über dern Theorieimport der Neuen Linken. Es ist kennzeichnend, dass Rudi Dutschke und andere beim SDS einstmals vor der Entscheidung standen, einen Standpunkt zur
Judenverfolgung im NS-Staat zu erarbeiten oder aber zur Frage des palästinensischen Freiheitskampfes; sie wählten letzteres. Inzwischen ist diese Form des modernen AS, nichts anderes ist Antizionismus heute, an den Universitäten angekommen, in Form der vom BDS organisierten
"Israel-Apartheidwochen" in London, New York, Toronto. Der innerjüdische Antizionismus, säkular beim Bund, oder religiös, verbrannte in den schwarzen Öfen von Auschwitz; er wurde begraben in den Leichengruben der schwarzen Wälder des Ostens: Mann für Mann, Frau für Frau, Kind für
Kind. Es gibt nur mehr eine religiöse Splittergruppe, nicht anerkannt, die gegen den Staat Israel ist. Ihre Rabbis brachten dem Holocaustleugner Achmadinedschad Geschenke, sie feierten als bisher einzige Juden mit der Hamas im Gazastreifen, viele von ihnen saßen in New York auf
einem Platz und skandierten Parolen gegen die vermeintliche Rothschildverschwörung. Wenn der Iran die mit Israel-Untergangsuhr besiegelte Vernichtung Israels am al-Quds-Tag feiert, sind sie dabei und halten Reden gegen die Zionisten, das Über auf der Welt, und folgen damit der
verschleiernden Sprachregelung Stalins, der schlicht das Wort "Jude" gegen "Zionist" ersetzte.
Auch der Spiegel-Artikel hat einen deutlichen antizionistischen Einschlag. Was die Autoren beschreiben, läuft in der großen weiten Welt, die uns in manchem voraus ist, unter dem
Stichwort Israellobby, einem Begriff, den der Spiegel nicht in den Mund nehmen wollte, vermutlich, weil er sich hier noch nicht durchgesetzt hat und daher zu auffällig gewesen wäre. Was der Spiegel beschreibt, ist eine Verschwörung von Zionisten gegen das Wohlergehen der
Bundesrepublik, wenn auch ohne jeden faktischen Beweis und vorsichtig formuliert, weil sich Bundestagsabgeordnete kaufen liessen und gekauft würden, und gegen die berechtigten Interessen der Palästinenser, weil der erkauft Anti-BDS-Beschluss des Bundestages sie als Antisemiten
abstempeln würde und die einzige Möglichkeit "friedlichen Protests gegen die Besatzung" nähme. So, wie früher alle möglichen jüdischen und nichtjüdischen Personen als Agenten Rothschilds verdächtigt wurden, werden nun zwei jüdische Vereine als Agenten Israels, des jüdischen
verdächtigt; so wie früher die Rothschilds die Verschwörer waren, die die Geschicke der europäischen Königshäuser bestimmt und über Frieden und Krieg entschieden hätten, sind es hier zwei Vereine, die über die Entscheidungen des deutschen Bundestages bestimmen sollen. Die
Journalisten des Spiegel, die, wie es scheint aus dem Bundestag zu Hilfe gerufen wurden, das legt ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes aus dem Februar nahe, haben aus Gründen, die sich bisher nur vermuten lassen, ohne Belege eine antisemitische Konspirationstheorie
entwickelt, die nach Kritik von der Chefredaktion verteidigt wurde. Da ist ein in den letzten Jahren einmaliger Vorgang, der nicht nur die inkriminierten Vereine oder Israel betrifft. Der antizionistische Furor wendet sich zurück, wo er Israel behauptet, nimmt die die Juden aller
Länder in Haftung. Diese Phänomene werden von der Arbeitsdefinition der IHRA zu Antisemitismus abgedeckt, und das ist der Grund, warum sie in linken, vermeintlich aufklärerischen Milieus immer wieder vehement abgelehnt wird. Der Umgang der Corbyn-Partei (sie ist nicht mehr
Labour) mit den Beschlüssen zur parteiinternen Adaption der Definition ist dafür ein anschauliches Beispiel.

Der Spiegelartikel enthält den Begriff Antisemitismus an fünf Textstellen. Er wird in Verbindung mit der Anti-BDS-Resolution angebracht, muss aufgeführt werden, als die
Dokumentation angesprochen wird; er ist unbedingt wichtig, als es heißt, Abgeordnete wollten nicht als Antisemiten verdächtigt werden. Aber im Zusammenhang mit der Arbeit beider Vereine die jüdische geprägt sind, nicht ein einziges Mal.
Das ist überraschend. Wen man mit dem
Nahost-Friedensforum den außenpolitischen Verein aus Gründen der Vereinfachung weglassen möchte, bleibt die Werteinitiative jüdisch - deutsche Positionen. Ein Verein, der in die Zivilgesellschaft wirken möchte und jüdisch geprägt ist, wird selbstverständlich dem Thema AS
Priorität einräumen. Doch alles, was der Spiegel über den Verein herausbringt, ist das: "Der Berliner Zahnarzt ist Vorsitzender der "WerteInitiative", eines 2018 gegründeten Vereins, der nach eigener Auskunft "jüdisch-deutsche Positionen" vertritt."
Mehr erfahren wir nicht als Leser, mehr sollen wir gar nicht wissen. Es ist ein bischen so wie mit den Fotografien aus dem Warschauer Ghetto, die irgendwann nicht mehr gezeigt wurden, weil sie Mitleid weckten.
Der Spiegel hat nach Darstellung des Vereins nur wenige, und wie ich
meine, wenig konkrete Fragen per E-Mail gestellt. Als der Spiegel fragt, wie die Gäste des Spendendinners ausgewählt wurden, läuft das so ab:
"Das Anliegen des Abends war es, politikinteressierte jüdische Bürger und Bundespolitiker verschiedener Parteien zusammen zu bringen. Die eingeladenen MdBs hatten in der Vergangenheit ein hohes öffentliches Engagement im Kampf gegen Antisemitismus, Extremismus und weitere
den gesellschaftlichen Zusammenhalt betreffende Themen gezeigt und waren daher für die Gäste interessante Gesprächspartner."
Das ist eine wesentliche Aussage zur Charakterisierung des Abends. Die Auskunft der @Werteinitiative wird durch die Gäste belegt: Der Spiegel verschweigt
die Namen von @michaelaengel und @drthomasfeist; sie, die sich immer wieder gegen Antisemitismus engagiert hat und heute einen jüdischen Turn- und Sportbund führt; er, der heute Beauftragter für jüdisches Leben und gegen Antisemitismus des Freistaates Sachsen ist.
Denn es darf
nicht sein, dass am Abend über Antisemitismus gesprochen wurde; es darf nicht sein, dass die frei imaginierten Verschwörer sich für die Zivilgesellschaft und jüdisches Leben einsetzen; es darf nicht sein, dass ein menschlicher Zug in die antisemitische Revolverblatt-Story kommt.
Nicht, wenn es um die Juden in dieser Geschichte geht.
Nachdem der Artikel das Engagement des Vereins und der Dinnergäste gegen Antisemitismus verschweigt, folgt die Darstellung der Kontroverse um die Dokumentation "Auserwählt und ausgegrenzt - das Schicksal der Juden in
Europa. Hier wird der Begriff zu recht verwendet. In der Geschichte des Spiegel folgen nun die Twitterbeiträge, die aufgrund "subtiler Beeinflussung" im Ergebnis des Abends unter wahrheitswidrig geschildertem Ereignisablauf durch die damaligen Abgeordneten verfasst worden wären
und in denen die Ausstrahlung der Dokumentation gefordert wurde. Die Ausstrahlung der Dokumentation geht damit auch auf das Wirken des Vereins zurück. Damit wird die Dokumentation grundsätzlich in einen negativen Zusammenhang gestellt, so, wie auch das Engagement der Anwesenden
bewusst verschwiegen wird.
Später zitiert der Spiegel, der mit den Antworten der WerteInitiative wenig anzufangen wusste, doch doch noch einmal @DrElioAdler. Denn Elio Adler hat etwas ganz perfides getan, so perfide, dass der Spiegel es unbedingt unterbringen muss und mit dem
Wort "ärgern" abwertet. Was schreibt der Spiegel?
"Die Fragen des SPIEGEL zu den Vorgängen ärgern Adler offensichtlich: "Wir sind von der Stoßrichtung Ihrer Recherchen stark befremdet", schreibt er. "Diese folgen, dem Anschein nach, einer Mär der Einflussnahme jüdischen Kapitals
in die Bundespolitik." Die Spenden für skandalisierungsfähig zu halten sei "der eigentliche Skandal, denn es findet Resonanz in verschwörungstheoretischen Bildern und antisemitischen Vorstellungen"."
Dr. Adler schreibt nicht, dass die Journalisten antisemitisch wären. Er vermutet ein antisemitisches Stereotyp und wird von den Journalisten angeprangert, die von "ärgern" reden. Man darf auch mal verallgemeinern, besonders, wenn es um ein antisemitisches Machwerk geht: Weil Dr.
Elio Adler sich ärgert, behauptet er mal einfach ein antisemitisches Stereotyp. Wenn der Jid sich ärgert, brüllt er Antisemit. So argumentiert der Spiegel an dieser Stelle. Aber es gibt noch ein einen weiteren Zusammenhang, den treffsicher die Rote Fahne, das Hausblatt der MLPD,
kürzlich treffsicher erkannte, als er schrieb, sogar gegen den Spiegel würde nun die Antisemitismuskeule bemüht, die wir noch von Norbert Blüm kennen. Es ist ein allgemeiner Vorwurf, der in antizionistischen Kreisen gern bemüht wird. Sobald es um Antisemitismus geht, der nicht
von rechts kommt, wird mit der Antisemitismuskeule zurückgeschlagen: Der Betroffene bezichtigt die anderen einer falschen Behauptung und nimmt die Opferrolle ein. Die Auseinandersetzung wird emotionalisiert und kann nicht mehr diskutiert werden.
Damit verbunden ist der Vorwurf der Instrumentalisierung des Antisemitismus. Ein AS-Vorwurf wird fälschlicherweise erhoben, um andere mundtot zu machen und unzulässige Ziel durchzusetzen. So schreibt es der Spiegel nicht, aber er beschreibt es ohne Umschweife: Der Jude, der aus
einer Verärgerung heraus auf antisemitische Stereotype hinweist, der ist es auch, in dessen Umfeld Abgeordnete dazu gebracht werden, die Ausstrahlung einer Dokumentation gegen Antisemitismus zu fordern.
Kontrastiert wird die immamente Denkweise zum jüdischen Verhalten mit der
Schilderung der Ängste einiger Abgeordneter, sie könnten als Antisemiten gelten, wenn sie gegen den Anti-BDS-Beschluss stimmen würden. Was da anklingt, ist die Antisemitismuskeule, denn selbstverständlich sind sie ebenso wenig Antisemiten wie die Journalisten, die uns eine offen
antisemitische Story auftischen und als investigative Recherche verkaufen wollen. Denn es sind die Juden in Gestalt zweier Vereine und einer hervorgehobenen und namentlich genannten Person, die nach Behauptung die Spiegel des Spiegel mit unerlaubten Mitteln, mit Bestechung und
"subtiler Einflussnahme" die Anti-BDS-Resolution durchgesetzt haben. Hier schließt sich der Kreis.
Antisemitismus gilt im ganzen Artikel nicht als gesellschaftliche Erscheinung, die bekämpft werden muss. Er gilt einzig und allein als Gefährdung von Abgeordneten und Journalisten,
als Machtinstrument der Jüden (wie Luther schrieb), und das ist ein weiterer, tiefer liegender Grund dafür, dass das Engagement gegen Antisemitismus als zivilgesellschaftliche Aufgabe weder in Bezug auf die WerteInitiative noch auf die Dinnergäste an keiner Stelle Erwähnung
findet: Es gibt keinen Antisemitismus als den, den diese Spiegel-.Journalisten entdecken. Es lässt sich vermuten, dass die Spiegel-Autoren (wenn man sie denn so nennen kann) überhaupt der Meinung sind, das mit dem Antisemitismus sei übertrieben; im Text ist es jedenfalls keine
Erscheinung, die sie in ihrer realen Wirkung anerkennen. Sie verleugnen sie.
Dieser Artikel trieft von Antisemitismus aus allen Poren: Nichts anderes ist es, Juden die Urteilsfähigkeit über die Verleumdungen, denen sie der AS aussetzt, abzusprechen.
Ich habe keinen Zweifel daran, dass sich die sechs Autoren als verantwortungsvolle Mitglieder der Gesellschaft sehen, die das Beste für alle möchten und ein wenig Weltverbesserung. Bestimmt putzen sie manchmal Steine, und an Gedenktagen sind sie ergriffen, wenn es um das
Schicksal von Juden unter dem NS-Regime geht; sicher haben sie den einen oder anderen mitfühlenden Artikel zum Thema geschrieben. Sie würden diesen Text erbost zurückweisen, und dennoch ist ihnen nur eines gelungen: Ein antisemitisches Schurkenstück, das zugleich ihr Weltbild
offenbart. Juden, die sich in der Öffentlichkeit engagieren, haben darin keinen Platz.
Und das ist der Antisemitismus der sich liberal gebenden Mitte. Gute Nacht, Deutschland 2019.
Meine Einschätzung, auch an @WerteInitiative @JFDA_eV und @Report_Antisem
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