Thread by @SerapGueler

In den letzten Tagen habe ich einige Anfragen zur türkischen Militäroffensive in #Syrien & dem #TürkischKurdischenKonflikt sowie deren Auswirkungen hier bei uns erhalten. Hierzu einige Gedanken, die auch die große integrationspolitische Herausforderung zeigen, die vor uns liegt:

Die Situation in Nordsyrien ist wesentlich komplexer als zur Zeit oft dargestellt. Weder sind die Sicherheitssorgen der Türkei in Bezug auf die PKK, deren Rückzugsgebiet immer schon auch Syrien war, ganz unberechtigt, noch hat die EU hier eine rühmliche Rolle gespielt.

Sie hat leider zu lange eher zugeschaut wie die Türkei, die mittlerweile von über 3 Millionen Flüchtlingen heimgesucht wurde, mit dieser Situation umgeht. Hinzu kommt, dass die Türkei selbst die Augen vor den gesellschaftlichen Herausforderungen zu lange verschlossen hat,

diese Situation unterschätzt hat und diese Offensive jetzt auch dazu nutzt, um das Ansehen in der eigenen Bevölkerung wieder ins Positive zu rücken und zu demonstrieren, man habe die Lage im Griff. Dieser Krieg hat für die Türkei also allen voran eine innenpolitische Dimension:

Er dient zur Imageverbesserung im eigenen Land. Was die Europäer oder Amerikaner davon halten ist irrelevant. Dass sie wenig bis gar nichts davon halten und der Türkei zurecht Völkerrechtsbruch vorwerfen, mit Sanktionen drohen nutzt am Ende sogar,

da so das Narrativ „Wir als Volk müssen zusammenhalten, weil alle anderen gegen uns sind. Die Welt lässt uns im Kampf gegen Terroristen alleine“ gepflegt werden kann und dazu führt, dass die Menschen als Nation wieder zusammenrücken, ganz nach dem Motto eines türkischen

Sprichwortes „Der Türke hat keinen Freund außer den Türken.“
Dieses Gefühl macht nicht an der türkischen Grenze halt, sondern schwappt auch zu uns rüber. Auch hier fühlen sich viele Türkeistämmige zu Unrecht behandelt und nicht verstanden.

Sie denken: Es geht um die PKK, die ist in Deutschland auch verboten, wie kann man der Türkei hier den Vorwurf machen, wenn sie versucht, sich selbst zu schützen? Geschürt wird diese Position auch durch offizielle Stimmen von türkischer Seite,

die von einer „erneuten anti-türkischen-Stimmung“ sprechen und Deutschland Rassismus vorwerfen. Die Kurden wiederum denken: Wie kann Deutschland die Türkei noch unterstützen, sie mit Waffen beliefern, die dazu eingesetzt werden die Kurden in Nordsyrien, die den IS verdrängt und

für Ruhe in der Region gesorgt haben, zu bombardieren?
Was heißt das jetzt für uns? Im Worstcase, dass wir das Vertrauen von beiden Gruppen verlieren werden. & ehrlich gesagt ist das integrationspolitisch richtig frustrierend, weil es so vieles kaputt macht,

was wir mühselig aufgebaut haben.
Es macht aber auch deutlich, wo die eigentliche integrationspolitische Herausforderung liegt: Beide Gruppen definieren sich nach wie vor als Mitglieder einer ethnischen Gruppe: Als „Türken“ oder „Kurden“.

Klare, harte Worte an die Türkei oder an die politischen Vertreter nehmen sie persönlich, es ist für sie keine Kritik an die Politik, sondern direkt ein Angriff auf die eigene Kultur und Person. Sie verstehen sich als Teil eines Kollektivs.

Was uns, als eine Gesellschaft, die von Individualismus geprägt ist, gelingen muss ist: Dass sie sich allen voran als Individuen begreifen.
Ebenso ist es wichtig, an diesen Tagen wie auch heute deutlich zu sagen: Jeder kann in diesem Land für oder gegen alles demonstrieren.

Wer die Versammlungs- und Meinungsfreiheit aber dazu missbraucht, andere zu provozieren & Gewalt auszuüben, verspielt nicht nur jegliche Sympathien für die eigene Sache, sondern macht sich straf- und angreifbar.

Derartige Eskalationen auf unseren Straßen sind nicht tolerierbar und auch mit nichts zu rechtfertigen.