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Thread zu #GewaltgegenFrauen aus der Perspektive eines Mannes. Die größte Gefahr für Frauen ist der (Ex-)Partner. Aber es gibt auch Gewalt im öffentlichen Raum und die Angst davor. Höchste Zeit, da eine Asymmetrie zu beenden und darüber zu sprechen, was Männer tun können. (1)
(Vorweggenommen: Diesen Thread informieren eigene Beobachtungen, Lektüre, Gespräche. Ja, ich verallgemeinere, es gibt, wie (fast) immer bei Verallgemeinerungen, (fast) immer auch Gegenbeispiele. Klar. Ich rede hier über Strukturen und glaube, die Beschreibung stimmt.) (2)
Wer Frauen zuhört, erfährt: Sie lernen von klein auf Regeln, wie sie die Gefahren in der Öffentlichkeit minimieren. Geh nicht allein durch den Park. Fahr nachts nicht allein durch die dunklen Straßen. Telefoniere mit einer Freundin oder tue so, als würdest du telefonieren. (3)
Wechsle die Straßenseite. Lass dein Glas nicht unbeaufsichtigt stehen. Nimm den Schlüssel zwischen deine Finger, als Waffe im Notfall. Erzähle im Zweifel, du hättest einen Freund. Lächle keine Fremden an, die Gefahr ist groß, dass sie das missdeuten (wollen). (4)
Kleide dich so oder so (nicht), für diese und jene Gelegenheit. Nicht jede Frau lernt all das (und sicher viel mehr), aber (fast) alle lernen irgendetwas davon. Von Eltern, Lehrern, Freundinnen. Die gedachte Gefahr, derentwegen sie das tun, ist (fast) immer: ein Mann. (5)
Dass das so ist, bekommt man auch als Junge/Mann mit, aber es hat keine Folgen für das, was man lernt. Man selber lernt noch, selbst nicht zu Fremden ins Auto zu steigen und allzu dunkle Ecken meidet man vielleicht auch, aber aus anderen Gründen. (6)
Was man als Mann nicht explizit lernt, ist, sich als jemand öffentlich zu verhalten, den Frauen aus guten Gründen als potentielle Gefahr zu sehen gelernt haben - dessen Denken und Handeln antizipiert wird. Diese Asymmetrie ist riesig und unfassbar und problematisch. (7)
Das ist wirklich irre. Ich wollte mal einen Text darüber schreiben und dazu einen Kurs besuchen, in dem man als Mann üben kann, wie man sich im Wissen um die eigene Wirkung im öffentlichen Raum bewegen kann: Ich habe keinen gefunden. Nicht mal in Berlin oder Hamburg. (8)
Frauen lernen, wie man sich draußen bewegt, Männer lernen es nicht. Selbst wenn man also weiß, dass man draußen immer als mögliche Gefahrenquelle wahrgenommen wird, muss man sich ein bisschen zusammensuchen, was das für das eigene Verhalten bedeutet. (9)
Dabei sollte etwas bedeuten. Natürlich ist es sehr bequem, sich in der Öffentlichkeit zu bewegen, ohne sich Gedanken über die anderen machen zu müssen. Klar. Aber Frauen können das auch nicht selbstverständlich. (10)
Warum sollten Männer das Recht darauf haben, den Luxus zu genießen, sich keine Gedanken machen zu müssen, wie sie von Frauen wahrgenommen werden - obwohl sie etwas tun könnten, um Situationen angenehmer, weniger stressig oder bedrohlich zu machen? (11)
Ich glaube, das muss sich ändern. Wir müssen anfangen, uns ernsthaft Gedanken zu machen und auszutauschen, wie man als Mann dreierlei umsetzen kann:
1. Sei keine Gefahr.
2. Zeige, dass du keine Gefahr bist.
3. Sei im Zweifel ein Ally und zeige das, wenn es geht. (12)
Sei keine Gefahr - das ist vergleichsweise einfach. Tue keiner Frau etwas an. Bedränge sie nicht. Bedrohe sie nicht. Berühre sie nicht absichtlich ohne ihr Einverständnis. Niemals. Vielen Männern muss das natürlich nicht gesagt werden. Zu vielen schon.
(13)
Viel heikler und im Alltag relevanter für all die vielen Männer, die nie eine Gefahr sein werden, ist: Zeige das auch. Frauen wissen nicht, dass du keine Gefahr bist,
aber, dass du eine sein könntest. Sie haben nur dein Verhalten für eine Risikobewertung. (14)
Im öffentlichen Raum zu zeigen, dass du keine Gefahr bist, ist so wichtig, weil Frauen mit guten Gründen gelernt haben, dass Männer, die sich auf eine bestimmte Weise verhalten, die aufdringlich, raumgreifend sind, jedenfalls wahrscheinlicher zur Gefahr werden können. (15)
Zeigen, dass du keine Gefahr bist, kann bedeuten: nicht offensiv starren, nicht einfach Bemerkungen zu machen, auch keine vermeintlichen Komplimente. Sich in der vollen Bahn nicht andrängen oder andrängen lassen. Sich auf den Sitzen nicht breit machen. (16)
Es kann bedeuten, keine hektischen Bewegungen zu machen, weil das aus dem Augenwinkel wie ein Angriff wirken könnte. Es kann bedeuten, im Aufzug mal bewusst wegzuschauen oder aufs Handy, oder den Kopf zu senken, um zu zeigen, dass man in sich gekehrt ist. (17)
Es kann bedeuten, darüber nachzudenken, wie eine Frau auf dem Bahnsteig einen Satzfetzen, den man gerade sagt, ohne Kontext und ohne Kenntnis der eigenen Person und Intention auffassen könnte, und den nächsten Satz oder die nächste Geste daran anzupassen. (18)
Es kann bedeuten, eher zu schmunzeln als laut zu lachen. Es bedeutet sicher, im Dunkeln auch mal die Straßenseite zu wechseln, um nicht zu überholen. Und es bedeutet auch, als Gruppe von Männern nicht offensiv Raum einzunehmen. (19)
Ja, das ist mehr Aufwand, ja, das schränkt auf eine Art ein, aber noch einmal: (fast) keine Frau bewegt sich durch den öffentlichen Raum, ohne gelernt zu haben, auf andere (Männer) zu achten und deren Verhalten zu bewerten. Für Frauen ist das selbstverständlich. (20)
Noch schwieriger, ambivalenter, auch mir unklarer, ist Schritt drei, Hilfe/Ally sein und das auch zeigen. Das kann bedeuten, wissende Blicke auszutauschen, wenn eine Männergruppe aggressiv wirkt, oder nachzufragen, ob man helfen kann. (21)
Es kann, je nach Situation, bedeuten, sich doch mal in die Nähe und nicht ans andere Ende des Bahngleis zu stellen, um Gegenwart zu signalisieren statt Desinteresse (ohne dabei aufdringlich zu wirken). (22)
All das hat übrigens nicht nur Auswirkungen auf Frauen - auch für Männer sind Männer die größte Gefahr im öffentlichen Raum, auch sie würden davon profitieren. (23)
Es gibt für all das keine Anleitung, kein tradiertes Wissen. Vieles hängt vom Augenblick ab, auch von der anderen Person, nicht alle wollen dasselbe und ganz sicher wird nicht alles immer richtig verstanden. Klar, das ist so, wenn man (wortlos) mit Fremden interagiert. (24)
Ich versuche das, so gut es geht, so weit ich das zusammengepuzzelt habe, zu beherzigen, sehr oft habe ich keine Ahnung, ob das, was ich tue, wirklich gut war oder ob ich mich anders hätte verhalten sollen. (25)
Möglich, ja, wahrscheinlich, dass ich vieles falsch mache und einiges übersehe. Ich weiß es nicht - aber woher auch? Genau das ist der Punkt! Ich glaube, dass muss sich dringend ändern. (26)
In dieser Gesellschaft gibt es so viel tradiertes Wissen darüber, wie man (als Frau) Risiken vermeidet - höchste Zeit, tradiertes Wissen darüber aufzubauen, wie man (als Mann) darauf reagieren kann und muss. (27)
Das Ergebnis könnte eine Gesellschaft sein, in der sich Frauen (und Männer) entspannter im öffentlichen Raum bewegen können, in der alle besser geschützt sind und die Risikobewertungen besser werde. (28)
Und, weil der Einwand von Männern kommen wird, sie fühlten sich unter Generalverdacht gestellt: Im besten Fall würde man als Mann so viel seltener in Verdacht geraten. Ist doch auch was? (29)
Also: Höchste Zeit für ein Gespräch darüber, wie Männer auch im öffentlichen Raum darauf reagieren können, dass #gewaltgegenfrauen für Frauen Alltag ist, dass sie Vermeidungsstrategien beigebracht bekommen, während wir so tun, als wüssten wir von nichts. (30/Thread)
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