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Ein Seelenstriptease

Heute hatte ich Besuch von meinem Jugendfreund Boban. Er lebt in Kanada und ist bis Ende Januar in Europa. Jetzt sitzt er im Bus und fährt zu seinen Verwandten nach Serbien. Wir hatten uns am 02. Januar 1990 das letzte Mal gesehen.
Ich war in den Winterferien 89/90 wie zuvor jedes Jahr in Zadar/Kroatien und habe dort die Silvesternacht mit meiner Jugendclique verbracht. Boban, Boris, Dean, Đorđe, Oskar, Irina, Dragana, Gorana, Vesna, Dana, Žarko und ich. Wenn ich an 1989 zurückdenke, erinnere ich mich ...
an den unglaublichen Sommer in dem unsere Clique zusammengewachsen ist und an den Silvesterabend, den wir im Haus meiner Eltern verbracht hatten. In den Sommerferien dachte ich, die Welt gehört mir. Ein paar Monate später, mußten wir Neujahr zu Hause feiern, weil es für ein ...
paar aus unserer Clique zu gefährlich gewesen ist in die City nach Zadar zum Feiern zu gehen. Es hieß, daß ein paar "Idioten" Jagd auf Serben machen würden. Also blieben wir alle zu Hause.
Die Stimmung kann ich nicht beschreiben. Es war eine Mischung aus unendlicher Freude...
und einer nicht zu erklärenden Unsicherheit. Ich würde in 3 Monaten mein Abi in der Tasche haben und im März meinen Militärdienst in der jugoslawischen Armee antreten. Mit mir gemeinsam auch Boban und Oskar, die anderen waren noch zu jung. Also feierten wir, daß wir bald ...
richtige Kerle sein werden. Gorana machte sich immer lustig über uns, daß das einzige was wir beim Militär lernen würden, Geschirrspülen ist. Dann fing sie an uns allen die Zukunft vorauszusagen. Ich war damals über beide Ohren verknallt in Dragana. Unsere Wahrsagerin sagte ...
uns eine glückliche und kinderreiche Zukunft voraus. Irina ist meine Cousine gewesen. Sie war die tollste Sängerin auf der Welt. Wir stimmten ständig irgendwelche Lieder an, um sie dazu zu bringen zu singen.
Wir sprachen über alles mögliche und irgendwann wurden ...
diese "Idioten" zum Thema. Irgendjemand meinte, daß sich schon seit längerer Zeit seine Verwandten darauf vorbereiteten Zadar zu verlassen und auf´s Dorf zu ziehen. Ich verstand es nicht und fragte nach dem Grund. Angst! Angst davor, daß diese Idioten gewalttätig werden könnten.
Die Stimmung kippte irgendwann und wir sprachen darüber, ob es tatsächlich möglich sein könnte, daß es in unserem Land zu Konflikten kommen kann. Alle erzählten von Situationen, die sie erlebt hatten in denen sie wegen ihrer Nationalität angegriffen oder beschimpft wurden.
Ich verstand die Welt nicht mehr. Ich lebte in Deutschland und kannte das, wie es ist als Ausländer angefeindet zu werden. Aber das hier war Jugoslawien und wir waren doch alle Jugos. Kroaten & Serben, katholisch & orthodox, aber trotzdem Jugos. Irgendwann fragte meine Cousine,
ob wir glauben, daß wir jemals wieder alle zusammen sein werden. Ich kann auch diese Situation nicht beschreiben.
Am 01.01.1990 mußte ich nachmittags mit dem Bus zurück nach Stuttgart fahren. Boban brachte mich zum Bus. Heute habe ich ihn das erste Mal seit damals wieder gesehen.
Boris, Kroate, starb am 15. September 1991 als eines der ersten Kriegsopfer von Zadar. 19 Jahre.
Dean & Đorđe, Serben, flüchteten mit ihren Eltern im Sommer 1990 in ihr Dorf und siedelten noch im Laufe des Jahre nach Serbien um. Soweit ich weiß, haben beide eine Familie.
Oskar, Kroate, kämpfte im Kroatienkrieg 4 Jahre an allen möglichen Fronten und wurde einige Male verletzt. Wir gehen jedes Jahr gemeinsam an das Grab von Boris.
Irina meine Cousine, Kroatin, heiratete noch 1990 ihren serbischen Freund Žarko und verbrachte mit ihm den Krieg in der Nähe von Belgrad. Sie starb 2010 an Krebs. 39 Jahre.
Dragana, Serbin, lebt heute irgendwo in den Staaten. Sie hat einen Amerikaner geheiratet um Serbien verlassen zu können. Ich habe sie seit dem 01. Januar 1990 nicht mehr gesehen.
Gorana, Kroatin, lebt auch in den Staaten. Sie arbeitet für die UNO und möchte nie wieder nach Zadar zurückkommen.
Vesna, Serbin/Kroatin, lebt heute in Serbien und besucht jedes Jahr das Grab ihrer Mutter in Zadar. Ihr Vater hat nicht die Kraft in sein ehemaliges Haus zu kommen, daß irgendwann 1991 gesprengt wurde und in den 2000ern vom kroatischen Staat erneuert werden mußte.
Dana, Kroatin, hat sich 2001 das Leben genommen. 30 Jahre.
Boban heute zu sehen war sehr schön und es tut weh. Er ist im Sommer 1990 mit seinen Eltern nach Serbien geflohen.
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