1.) Ausgehend von diesem Post und dank freundlicher Ermutigung von @beritmiriam (und @geierandrea2017) folgt ein - in Zukunft unregelmäßig zu erweiternder - Thread mit Obstrezensionen. Denn gerade in schwierigen Zeiten muss Journalismus Einordnung und Orientierung liefern.
2.) Kiwi: Durch die pelzige Schale ästhetisch ausbalanciert wie ein Jonathan Lethem-Roman: ein bisschen edgy, aber nicht zu prätentiös. Dazu volle Vitaminpower mit dieser leicht säuerlichen Note, die einen bei zu großen Stücken kurz zucken lässt: Das gesunde Meth der Natur! 9/10
3.) Avocado: Die Vollkatastrophe. Extrem mieses Handling, Anbau wird - in Südamerika - in weiten Teilen vom Narco kontrolliert und schmeckt wie altes, in Gurkenwasser aufgeweichtes Toastbrot. Einziger »Vorteil«: Mit dem Kern kann man - theoretisch - irgendwas basteln. 2/10
4.) Apfel: Klar, Klassiker. Aber leider nicht gut gealtert. Hat als Dingsymbol zahnkosmetikbozegener Werbung und Leitmotiv der »Wir haben jetzt bei Meetings auch eine Obstschale auf dem Tisch«-Kultur an Power verloren. Zudem für ältere Leute eine regelrechte Alltagsfalle. 5/10
5.) Erdbeere: Wenngleich dieses latent nachwirkende Luxus-Image (»Erdbeeren und Sekt«) unangenehm an so anerotisierte 80‘er-Jahre-Filme im Börsenmakler-Milieu erinnert, eine doch grundsolide Frucht, die den Sommer-Vibe 24/7 in die eigenen 4 Wände bringt. Einfach stark! 8/10
6.) Orange: Hat, zusammen mit David Hasselhoff, den Staatssozialismus in die Knie gezwungen. Bleibt aber unklar warum. Direktverzehr nämlich überaus umständlich (»Pass auf, 's tropft!«) Am Ende eigentlich nur der Kürbis des Obstes: Als Saft/Suppe irgendwie okay. 5/10
7.) Litschi: Ökotrophologischer Terroranschlag auf den Menschen und Beweis, dass Avocado nicht das schlimmste ist. Sieht aus wie'n Seeigel mit Sonnenbrand und schmeckt wie faulige Forelle. Natürliche Vielfalt gut und schön, aber hier versteh ich den kompletten Ansatz nicht. 0/10
8.) Brombeere: Sieht aus wie die schlecht gelaunte Schwester der Himbeere, hat aber gerade deswegen heute so'n nostalgisch-hippen Mehrwert und wird in urbanen Zentren gerne von Leuten gegessen, die breitkrempige Hüte tragen. Mit herzhaftem Käse aber dennoch sehr bekömmlich. 6/10
Exkurs I: Liebe Obstfreund/innen, mich erreichen viele Zuschriften. Zustimmung, konstruktive Kritik, aber auch Ablehnung (Stichwort Litschi). Das zeigt: unsere Gesellschaft muss im Dialog bleiben! Aber: Demokratie darf sich auch nicht alles gefallen lassen (Stichwort Litschi)
9.) Stachelbeere: Geschmacklich am Ende zwar verzichtbar, erzeugt im Falle der Eigenernte jedoch epistemologische Fleischwunden. Im Kontrast zum (*bedeutungsesoterische Byung Chul Han-Stimme*) »glatten Raum des Gleichen« spürt man sich hier endlich mal wieder selber. Geil! 7/10
10.) Ananas: sozialdemokratisches Spitzenobst. Transportiert in kleinen Dosen das gelb-goldene Versprechen einer besseren Welt auf den Käse-Schinkentoast und ist damit die Königin der teutonischen cucina povera. Papaya-Snobs rümpfen da die Nase, klar. Aber gerade deshalb: 9/10
