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Weil gerade mit "das Argument, dass Daten mißbraucht werden, kam schon bei der Volkszählung und dagegen gibt es Gesetze" kam, möchte ich das hier mal als Gedankenspiel durchspielen. #Klarnamenpflicht 1/
Volkszählung und eine Klarnamensammlungen im Internet sind nicht mal mehr Äpfel und Birnen verglichen, das sind Äpfel verglichen mit dem Pluto.

Buckle up. 2/
Also, gehen wir mal davon aus, der Bundestag arbeitete an einem Klarnamengesetz. Was er gerne möchte, ist die großen Plattformen, wie Facebook, Twitter oder Youtube, dazu zu verpflichten, die Klarnamen ihrer Nutzer zu erfassen. 3/
Nehmen wir die vorhin von @HollsteinM vorgeschlagene, abgespeckte Version, bei der die Klarnamen dem Plattformbetreiber bekannt sind, die Nutzer aber weiterhin pseudonym teilnehmen können.
Dazu muss bei der Registrierung eine Zuordnung von Klarname zu Pseudonym stattfinden. 4/
Gut, also ein Gesetz sollte vor allem Facebook, Youtube, Twitter, etc. treffen. Aber das könnte so natürlich nicht im Gesetz stehen. Denn einerseits würde eine so deutliche Ungleichbehandlung sicherlich interessante Klagen ermöglichen und andererseits müsste ein derartiges> 5/
Gesetz ja auch zukunftssicher sein, also zukünftige große Anbieter mit erfassen. Ergo: Das Gesetz _kann_ gar nicht nur die großen Plattformen erfassen. Es müsste so formuliert sein, dass es alle Anbieter von Diskussions- oder Kommunikationsplattformen erfasst. 6/
Was darunter fallen würde: Twitter, Facebook, Youtube ... klar. Aber auch Spieleplattformen mit Multiplayermodi und der Möglichkeit sich auszutauschen. Foren. Blogs mit Kommentarfunktionen. Blogplattformen. Mailinglisten. IRC-/Chat-server. Fotoplattformen. 7/
Eigentlich reden wir vom kompletten Internet, das nicht aus statischen Seiten besteht.

Ergo, statt "Twitter, Facebook etc, mögen bitte die Realnamen der Nutzer erfassen" reden wir von "Dienstanbieter generell müssen die Realnamen der Nutzer erfassen." 8/
Das Problem fängt an, wenn die Namen erfasst werden sollen:
Damit es überhaupt greifen kann, müsste auch irgendwie sichergestellt werden, dass es sich tatsächlich um den Klarnamen handelt und Identitätsdiebstahl ausgeschlossen wird. 9/
Ergo benötigt man ein gesichertes Verfahren zur Identitätsfeststellung.
Da bietet sich an: Ausweis fotografieren lassen. Ein Postident verfahren. 10/
Zweites Problem: die sichere Speicherung der erfassten Daten.

11/
Drittes Problem: Bei einem deutschen Alleingang, würde es nur die deutschen Nutzer betreffen. Bei einem EU-Alleingang nur EU-Nutzer. Es gibt außerhalb der EU (derzeit sogar noch innerhalb) nicht überall eine Ausweis- oder Meldepflicht.
12/
Aber ich bleibe erst mal beim ersten Problem: Überhaupt sicherzustellen, dass das der korrekte Name ist, mit dem sich ein User da anmelden will. Da kann man nun entweder von den Nutzern verlangen, dass sie ihr Gesicht neben dem Personalausweis mit der Webcam aufnehmen> 13/
Oder man greift auf Verfahren wie Postident zurück.

Gehen wir davon aus, wir wären Betreiber eines kleinen Forums mit 100 Nutzern zum Thema Fußball. Dann ist es vielleicht ein brauchbare Lösung, die Variante Webcam & Perso zu nutzen. D.h. als Betreiber des kleinen Forums > 14/
sitzt man halt ein paar Stunden da, schaut sich Fotos an und versucht die mit dem Bild des Persos daneben in Einklang zu bringen, buchstabiert sich durch Namen und Daten und schaut, das alles zusammen passt. 15/
Mehr als ein oder zwei Urlaubstage braucht das doch sicher nicht. Vielleicht gibt man auch dem 15-jährigen Neffen einen 50er und heuert den an um das ... ach ne, das sind ja sicherheitsrelevante, persönliche Daten. Das geht nicht ohne diesen ganzen Datenschutz-Foo 16/
und überhaupt, muss man jetzt selbst auch einen Kurs in die Richtung machen, um überhaupt weitermachen zu dürfen? *kopfkratz*
Oder man nutzt das Postident-Verfahren, damit die das für einen erledigt. 17/
Wenn die Preise stimmen, die ich gefunden habe, wären das bei einem Forum mit 100 Nutzern 650 Euro, die man nebenbei mal aufbringen muss. Während der Forenbetrieb sonst so niedrigschwellig ist, dass man meist mit ein paar Euro im Monat dabei ist. 18/
Dann müssen aber die Daten ja auch noch aufbewahrt werden und zwar so, dass im Falle eines Vergehens, Pseudonyme den Rückschluß auf den Realnamen möglich sind, die an Strafverfolgungsbehörden übergeben werden können. 19/
Nun kann der Betreiber eines 100-Personen-Forums zwar vermutlich aus dem Kopf sagen: "Ja, der ILikeBigBoobs666, das ist der Manni Krause, der schreibt immer Scheiße", aber dann sagt Manni "Du Arschloch, beweis das erst mal". 20/
Ergo, sind die Realnamen erst mal erfasst, müssen die auch rechtssicher aufbewahrt (und übermittelt) werden. Und da wir hier von persönlichen Daten reden, müssen diese sicher gespeichert werden. 21/
"Aber wenn man sowieso ein Forum betreibt, dann kann man auch das," werden Politiker und Klarnamenpflicht-Befürworter sagen.
Mela dagegen sagt: Ähem, nein. Jeder kann ein Auto fahren, die meisten sogar einen Reifen wechseln, aber die Bremsen repariert Fachpersonal. 22/
Und das wäre genau das Problem: käme eine Klarnamenpflicht. Sie gälte nicht nur für Twitter, nicht nur für Facebook, nicht nur für Youtube. Sie gälte für alle Dienstanbieter. Und dann haben wir nicht eine Datensammlung, wir haben nicht ein Dutzend Datensammlungen, wir haben 23/
tausende Datensammlungen, die in der Mehrheit von Personen verwaltet würden, die nicht dafür ausgebildet sind und weder die zeitlichen noch die finanziellen Mittel haben, diese Sammlungen sicher zu gestalten. 24/
Dann könnte natürlich der Gesetzgeber sagen: Ja, dann können das eben nur Leute machen, die entsprechend im Umgang mit Personendaten geschult sind. Dann macht das halbe deutsche Internet zu. Das für Politiker nicht relevant ist, weil sie es weder kennen noch nutzen. 25/
Was aber für Hunderttausende bedeuten würde, dass soziale Netze wegbrechen oder auf Plattformen gezwungen würden, die a) etwas kosten, was gerade für isolierte und arme Menschen eine Katastrophe wäre, oder auf Plattformen, die mit Daten handeln. 26/
Womit man den Internetriesen - die man eigentlich ja angeblich schwächen will - _schon wieder_ mehr Macht zuschustern würde. 27/
Gut, es könnte natürlich auch eine andere Alternative geben. Eine zentrale Clearingstelle, die die Realnamen verwaltet. Aber auch das würde den gleichen Effekt nach sich ziehen, denn eine solche Clearingstelle würde Kosten verursachen. 28/
Kosten, die nur von großen Plattformen wirklich gestemmt werden könnten.
Es haben mit jeder halbgaren Internetgesetzgebung der letzten 10 Jahre mehr und mehr kleine Angebote in Deutschland die Pforten geschlossen und Nutzer mussten zu Monopolisten ausweichen. 29/
Aber keines hatte die Wucht, die ich bei einem Klarnamengesetz vermuten würde. Das hätte, meiner Ansicht nach, die Potenz, die Internetkultur in Deutschland total veröden und monopolisieren zu lassen.
30/
Ich halte ein derartiges Vorgehen tatsächlich für denkbar, weil die Bundesregierung leider genau diese Kultur weder kennt noch schätzt und auch zivilgesellschaftliches Engagement maximal für Sonntagsreden interessant ist. 31/
Sollte da aber doch so etwas wie Gewissen einsetzen, würde die Lösung vermutlich folgendermaßen aussehen:
Man würde eine Nutzerzahl festlegen, unter der keine Realnamen erfasst werden müssen. 32/
Und so ab 1000 Nutzern, ist das doch schon ein ernstzunehmendes, kommerzielles Angebot, oder?

Oder ab 5000 garantiert.

Wobei ich, bei einem Gesetz, eher so auf eine Grenze von 500 tippen würde.

Und ich hab da gerade mal nachgeschaut:
33/
Das Forum Rehakids, eines der zentralen, kostenlosen, ehrenamtlichen und zivilgesellschaftlichen Angebote auf dem sich Eltern behinderter Kinder austauschen können. Auf dem sie über Jahre und Jahrzehnte Zuspruch und kostenlose Informationen erhalten:
34/
Die Zahl der Nutzer des Forums Rehakids ist beträgt derzeit: 50.785

Eine Identitätsfeststellung der Nutzer via Postident käme für das Forum auf 191.500 Euro.

Von Aufwand für die sichere Speicherung und den Kosten für das nötige Know How gar nicht zu reden.
35/
Ein solches Angebot kann nicht mehr unter eine Geringfügigkeitsgrenze fallen, egal wie diese definiert ist.
Und dennoch ist es: nichtkommerziell, ehrenamtlich und eine unersetzliche Informationsquelle für Eltern behinderter Kinder. 36/
Ein Angebot, das nicht von staatlichen oder kirchlichen Stellen ersetzt werden könnte und erst recht nicht von Einrichtungen wie der Telefonseelorge. Das ebenso emotionalen Halt gibt, wie Tipps, wie man den Alltag bewältigt. 37/
Rehakids wäre nur ein beispielhaftes Angebot. Ähnliche, auch ähnlich große Angebote gibt es für nahezu jede Krankheit, Behinderung, für Süchtige, für Menschen mit prügelnden Partner, für Menschen, die unter ihrer Familie leiden, für Expats, für Transsexuelle ... 38/
Was diese Angebote leisten, kann nicht in Worte gefasst werden. Was ihr Wegbrechen für hunderttausende Menschen bedeutet würde, auch nicht.

Und sie alle konnten nur entstehen, weil ein Pseudonym alles ist, was man braucht.

39/
Witzigerweise widerspräche eine Klarnamenpflicht der DSGVO, nach der nur so viele Daten gespeichert werden dürfen, wie zum Betrieb des Dienstes unbedingt nötig sind. 40/
Ein Gesetz würde diese dann quasi durch die Hintertür nötig machen, aber alleine dieser Widerspruch würde z.B. mich sagen lassen: Dann eben nicht. Verarschen kann ich mich alleine. 41/
Ich komme dann mal zu Problem 3:
Ja, Deutschland, Europa ist ein großer Markt. Aber möglicherweise sind die Internetriesen tatsächlich in der Lage auf diesen Markt zu verzichten.
42/
Nach Einführung der DSGVO waren die Erschaffer überzeugt, das Embargo deutscher Nutzer durch diverse Dienste, würde eine temporäre Erscheinung sein.

Spoiler: Ich kann heute noch nicht auf die meisten US-Lokalzeitungen zugreifen. Die brauchen uns nicht als Nutzer. 43/
Ich bräuchte die halt durchaus schon zur Recherche, aber C'est la vie.

44/
Dann mal noch zu einem anderen Aspekt der Speicherung von Realnamendaten.
Es wird einmal auf jeden Fall einen "chilling effect" geben, der sich möglicherweise über die Jahre/Jahrzehnte ein bisschen abnutzt. D.h. Menschen würden zivilgesellschaftliches Engagement unterlassen> 45/
würden sie sich auch nur mit einer geringen Befürchtung tragen, dass man ihr Pseudonym mit dem Realnamen verbinden und dadurch Rückschlüsse auf die Familienverhältnisse oder den Arbeitgeber ziehen könnte. 46/
Für Politiker und die Befürworter einer Klarnamenpflicht, will man immer nur böse Dinge tun, wenn man den Namen nicht preisgeben will.

Wer sich aber gegen Sekten engagiert, gegen Pseudomedizin oder Pseudowissenschaft, wer Betrug aufzudecken versucht, der ist gefährdet. 47/
Der seit 20 Jahren unauffällig lebende, transsexuelle Lehrer, der von den Eltern geliebt wird, weil er den Kids so super Mathe beibringt, würde sich dreimal überlegen, ob er junge Transsexuelle unterstützt. 48/
Denn würde die Transsexualität bekannt, ist es, in einem entsprechend bürgerlichen Umfeld, mit der Dankbarkeit oft schnell vorbei.

49/
Aber abgesehen von diesem "chilling effect" würden die Hürden für ziviligesellschaftliches Engagement im Internet so hoch geschraubt, dass sie eigentlich nur noch verkommerzialisiert werden können.

50/
TL;DR: Eine Klarnamenpflicht kann technisch, logistisch und von den zu erwartenden Kosten her, eigentlich nur von großen Dienstanbietern gestemmt werden.

51/
Sie würde zivilgesellschaftliches Engagement im Internet stark behindern und die deutsche Internetlandschaft kulturell veröden.

52/52
Was nicht Inhalt dieses Threads war: wie eine Klarnamenpflicht konkret mißbraucht werden könnte oder Menschen sogar konkret gefährden.
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