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Wien - Ein Paradies für Mieter?

Der #Wohnungsmarkt in #Wien besteht aus (mindestens) vier Teilmärkten.

Jeder unterliegt anderem Mietrechtsregime, die Unterschiede sind sehr groß.

„Die“ Wiener Wohnungspolitik gibt es daher nicht.

#Thread

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Teilmarkt 1/4: Private Altbauten
(rund 34% des Mietwohnungsbestandes)

Miethöhe 1917 als Notmaßnahme gesetzlich begrenzt.

Anpassung „Richtwertmiete“ folgt Kostenmietprinzip.

Kompliziertes Zu-/Abschlagssystem, zulässige Miethöhe oft unklar, tatsächliche Miete oft höher.

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Trotzdem wenig Streit, denn typischerweise erfolgt befristete Vermietung auf drei Jahre und befristete Verlängerung, wenn Vermieter-Mieter-Verhältnis ungetrübt...

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Ergebnis 1/4

1. Bestandsmiete etwas höher als in Hamburg, deutlich höher als in Berlin, aber niedriger als in München.

2. Gesetzliche Fiktion niedriger Mieten hat dazu geführt, dass die Mieter in Wien weitaus mehr Pflichten (=Kosten) übernehmen als in Deutschland.

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Bei größeren Instandhaltungsinvestitionen kann zudem vorübergehend die Miete erhöht werden. Sämtliche Nebenkosten (z.B. Wohnungsverwaltung) sind auf Mieter umlegbar.

Fazit 1/4
Mieter schlechter gestellt als in dt. Metropolen.
Vor allem ist Mietverhältnis höchst unsicher.

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Teilmarkt 2: Gemeindewohnungen („Wiener Wohnen“)
(rund 31% des Mietwohnungsbestandes)

Überwiegend Altbau aus Zwischenkriegszeit (auch Karl-Marx-Hof) oder 1950er bis 1970er Baujahre.

In den letzten 40 Jahren hat Wiener Wohnen nur noch wenig neu gebaut.

/6
Anrecht haben nur Mietinteressenten, die eine Reihe von Voraussetzungen erfüllen.

Eine hohe Mietbelastung reicht nicht aus, die Familienverhältnisse müssen „geklärt“ sein, Gründung einer WG ist nicht möglich.

Es gibt Warteliste, Wartezeit hängt von vielen Faktoren ab.

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20% der Wohnungen werden durch Vormieter vergeben; entsprechend hilfreich ist ein großer Bekann-tenkreis. Langjährige Wiener erhalten „Bonusmonate“.

Ergebnis 2/4

Bestandsmietenniveau inklusive kalter Nebenkosten rund 6,80 €/m². Neuvermietung rund 8,90 €/m².

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Niedrige Mieteinnahmen erlauben keine umfangreichen Investitionen, mehr als 1/3 aller Whg. sind "ohne Zentralheizung" oder "ohne Zentralheizung, ohne Bad".

Insgesamt Ausgaben für Instandhaltung zu niedrig gemessen am Alter/Zustand der Whg. und Sozialstruktur der Mieter.

/9
Folge: abnehmende Durchmischung, steigender Leerstand. Nur wenige Gebäude in sozial unauffälligen Baublöcken.

Gegen Vermietungsschwierigkeit spricht lange Warteliste. Aber Registrierung ist kostenlos und rund 27% d. Bestands sind attraktive Altbauten

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Insolvenz der Wiener Wohnen ist juristisch unmöglich (Eigenbetrieb der Stadt). Aber die Stadt Wien müsste bei Liquiditätsengpässen nachschießen. Ob dies bereits der Fall ist oder war, kann angesichts der schwachen Datenlage nicht beurteilt werden.

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Fazit 2/4

Es kann schwierig sein, kommunale Wohnungsbestände nachhaltig wirtschaftlich zu führen. Dies gilt insbesondere, wenn keine öffentliche Rechenschaftspflicht.

Nicht empfehlenswert.

/12
Teilmarkt 3: Geförderte Wohnungen
(rund 26% des Mietwohnungsbestandes)

Wird in D häufig mit „Sozialwohnung“ betitelt, aber nur bedingt richtig.

Denn: Sehr hohe Einkommensobergrenzen und „Eigenmittelbeitrag“.

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Beitrag bei Erstbezug ca. 500 €/m² (d.h. für eine 70 m² Wohnung 35.000 Euro).

Fast jeder Mieter hat Anspruch auf Erwerb seiner geförderten Wohnung. Kaufpreis folgt Kosten zum Bauzeitpunkt = sehr attraktiv.

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Gut 2/3 der aktuell geförderten Haushalte haben überdurchschnittliches Einkommen – Tendenz steigend.

Geringverdiener erhalten Eigenmittelersatzdarlehen, die sind aber zweischneidig, da Darlehensraten zusätzlich zur Miete anfallen. Daher existiert Einkommens*UNTER*grenze.

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Ergebnis 3/4

Der geförderte Wohnungsbau in Wien könnte ein interessantes Modell für Deutschland sein, da er überwiegend dem politischen Ziel einer Erhöhung der Eigentümerquoten dient.

Fazit 3/4

Mit Zielen des dt. sozialen Wohnungsbaus kaum vereinbar.

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Teilmarkt 4: Frei finanzierte Wohnungen (ohne Altbau)
(rund 10% des Mietwohnungsbestandes)

Fast vergleichbar mit dem allgemeinen Wohnungsmarkt in Deutschland ohne Mietpreisbremse.
Wesentliche Einschränkung: sachgrundlose Befristung des Mietvertrages möglich.

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Ergebnis 4/4

Das Neuvertragsmietniveau liegt etwas höher als in Hamburg und niedriger als in München.

Fazit 4/4

Mieter freifinanzierter Whg. in Wien schlechter gestellt als in D, da bei vglbaren Mieten weniger Sicherheit wegen Befristung.

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Vorbild: Bodenpolitik

Wiener Bodenpolitik könnte Vorbild für Deutschland sein.

Wien betreibt sehr viel aktivere Bodenvorratspolitik als deutsche Städte.

Entscheidend: Bauerwartungsland kann faktisch nur an Bodenfonds verkauft werden, der diktiert Preis.

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Dies ist möglich, da die Ausweisung von Bauerwartungsland sehr großzügig erfolgt und daher verkaufsunwillige Eigentümer damit rechnen müssen, dass bei Nichtverkauf an anderer Stelle gebaut wird.
Deutschland hingegen schwelgt lieber in Baulandknappheit.

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Gesamtfazit

Mieten in Wien ist nicht günstiger und erst recht nicht sicherer, hochwertiger oder stressfreier.

Dass in der deutschen Diskussion der Eindruck entstanden ist, Wien wäre die „Hauptstadt des bezahlbaren Wohnen“ dürfte an Folgendem liegen.

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1. Datenbasis.
Als „Neuvertragsmiete“ wird in Wien jeder neu abgeschlossene Mietvertrag der letzten 4 Jahre bezeichnet; eher vglbar mit deutschem Mietspiegel, der auch in D deutlich unter „Neuvertragsmiete“ liegt.

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2. werden häufig die Nettokaltmieten anstelle von Bruttokaltmieten verglichen.

3. werden nur die Mieten verglichen, die mieterunfreundlicheren Konditionen (Sicherheit des Mietverhältnisses, Instandhaltung, Modernisierung) bleiben außen vor.

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4. werden in journalistischen Beiträgen Einzelbeispiele verwendet. Neben den Mietern mit traumhaften Konditionen in tollen Wohnungen gibt es aber auch genauso viele mit *alp*traumhaften Konditionen in abgewohnten Wohnungen.

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5. leistet sich die „Wiener Wohnen“ eine eigene Marketingabteilung „International Relations“, die sehr aktiv ist und sogar internationale Wanderausstellungen zur Wohnungspolitik in Wien organisiert.

/25
Ergebnis: nicht empfehlenswert

Wiener System ist #teuer, #unsicher, #streitanfällig, #bürokratisch, #intransparent und #ungerecht gerade aus Sicht sozial Schwacher,

und die Wohnkosten in Wien sind nicht niedriger als in deutschen Metropolen.

Studie: kurzelinks.de/Wohnen-in-Wien
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