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Berit Glanz @beritmiriam
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Ich möchte kurz einige lose Überlegungen formulieren, zur Verwendung rassistischer, sexistischer und anderweitig diskriminierender Begriffe in literarischen Texten, die bei großen Wettbewerben gelesen werden:
Immer wieder wird das Rollenprosa-Argument herbeigeführt, das ungefähr so funktioniert: Um bestimmte Figuren vernünftig zu charakterisieren, benötige ich bestimmte Worte, da ansonsten die Figur falsch gezeichnet wird.
Das bedeutet, wenn ich einen sexistischen und rassistischen alten Grantler beschreibe, dann muss ich eben diese Wörter verwenden um Plausibilität zu erzeugen oder die Figur stimmig zu zeichnen
Das Rollenprosa-Argument ist ziemlich durchschlagkräftig und wird beispielsweise auch in Bezug auf Battlerap immer wieder verwendet. Ich finde es nur sehr begrenzt überzeugend.
Ich persönlich denke, dass man beim Wiederholen von Wörtern, die bestimmte Gruppen stark verletzten oder schwere Unrechtserfahrungen wieder aufrufen, große Vorsicht walten lassen sollte.
Gerade von talentierten und vielversprechenden Schriftsteller*innen erwarte ich die sprachliche und stilistische Kompetenz Figuren auch ohne Verwendung bestimmter Wörter (es sind ja nicht allzu viele) vernünftig zeichnen zu können.
Nun ist es so, dass mittlerweile Gruppen, die zuvor gar nicht gehört wurden, die Gelegenheit haben in den sozialen Medien Protest zu äußern. (Dazu schrieb die schlaue @asallime übrigens gerade einen peripher passenden Artikel)
Es ist also allen Schriftsteller*innen bekannt, dass eine solche Sprache ggf. auf Protest stoßen wird, was auch immer man von diesem Protest halten mag oder wie ernst man ihn nehmen möchte.
Entscheide ich mich dennoch rassistische, sexistische etc. Wörter zu reproduzieren, auf einer großen Bühne zu lesen, dann kalkuliere ich diesen Protest als Autor*in in die Rezeption ein.
Nun ist Aufmerksamkeit eine Währung, gerade auf dem eng umkämpften Buchmarkt. Aufmerksamkeit ist gut, ein Marktinstrument, selbst auf negativer Aufmerksamkeit kann man eine mehr oder minder erfolgreiche Karriere aufbauen (Beispiele brauche ich nicht zu nennen, sie sind bekannt.)
Jeder der gegenwärtig rassistische, sexistische Sprache etc. verwendet kalkuliert in 2018 eben diese Aufmerksamkeit mit ein. Benutzt also Rassismen, Sexismen etc. als Währung für Aufmerksamkeit.
Und das ist eine Instrumentalisierung der Diskriminierung anderer für die eigene Karriere, die ich extrem problematisch finde und über die sich Autor*innen Gedanken machen sollten.
Und es heißt natürlich La Fin
Weil ich gerade immer wieder das Gleiche gefragt werde, ein Nachtrag:
1. Ich fordere keine Sprachtabus, keine Selbstzensur, sondern einen bewussten Umgang mit Sprache und Reflexion von Autor*innen.
2. Ja, es gibt Rollenprosa, die diskriminierende Wortverwendungen notwendig oder sinnvoll macht, die Frage nach der ästhetischen Notwendigkeit sollten Autor*innen dann beantworten können und diese Verwendungen müssen auf ihre Notwendigkeit befragt werden.
3. Ja, Sprachverwendung ist performativ und kann Hierarchien subversiv unterlaufen oder kritisch wirksam werden. Mir geht es vor Allem darum, dass diskriminierende Sprache nicht vorwiegend aus aufmerksamkeitsökonomischen Gründen verwendet wird.
4. Autor*innen, die diskriminierende Sprache reproduzieren, sollten sich bewusst machen, dass damit Verletzung erzeugt wird. Das ist schlicht auch eine Frage von Empathie. "Muss ich diese Worte verwenden, um mein Ziel zu erreichen?" sollte man sich im Schreibprozess fragen.
Meine Mentions explodieren gerade, ich bin jetzt erstmal raus, um meinen Roman zu korrigieren und meine eigene Sprache zu überprüfen. 🙂
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