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Über Alice Schwarzer und junge Feministinnen. Anmerkungen, ausgelöst durch ein Streitgespräch zwischen Margarete Stokowski und Alice Schwarzer

von Jutta Ditfurth

Wenn ich lese wie sehr Alice Schwarzer nicht nur in diesem Streitgespräch beansprucht und ihr auch zugestanden.../2
2/ wird, für die Feministinnen der 1970er Jahre zu stehen + zu sprechen, lege ich Widerspruch ein. Ich glaube, die junge feministische Bewegung heute weiß viel zu wenig über die reale Frauenbewegung der 1960er/1970er Jahre. Wer weiß schon noch, dass es eine linke Alternative /3
3/ zu »Emma« in Gestalt der Zeitschrift »Courage« gab? Erst wenn klar ist, was die feministische Bewegung damals wirklich war, in all ihren Widersprüchen und auch mit ihren marxistischen und anarchistischen theoretischen Bezügen (1968-1977, Weiberrat, Aktionseinheit zur... /4
4/ Befreiung der Frau, 218-Kampagne usw. usf.) würde klar, dass Alice Schwarzer immer eher einen Teil der frauenbewegten Bürgerlichen vertreten hat und nicht die linke, proletarische, sozialistische und internationalistische feministische Bewegung.
Schwarzer schaute sich .../5
5/ Anfang der 1970er die gute Idee der »Ich-habe-abgetrieben-Kampagne« in Frankreich ab + bot sie dem deutschen stern an. Sie führte sich zeitweilig in Deutschland auf (in Frankreich wäre sie damit nicht durchgekommen), als sei sie die Geschäftsführerin von Simone de Beauvoir../6
6/ ..., der damals wichtigsten feministischen Theoretikerin. Damit war sie in Deutschland für die Medien eine ideale Besetzung, die nach dem Niedergang der APO (außerparlamentarische Revolte, »‘68er) für die Personalisierung, das Weichspülen und die mediale Vermarktung der ... /7
7/ linken Opposition sorgten. Die linken Feministinnen der Vergangenheit konnten vergessen gemacht werden. Dass das erfolgreich gelang, speist den heutigen Sexismus mehr als die meisten jungen Frauen vielleicht ahnen, denn Kohorten reaktionärer Männer bildeten sich ein, dass /8
8/ sie diese Auseinandersetzung endgültig gewonnen hätten. (Was auch damit zu tun hatte, dass es so lange vielen jungen Frauen peinlich war, sich Feministin zu nennen.)
Da die Frauenbewegung in den auf 1970 folgenden Jahren und Jahrzehnten in einzelnen Strömungen irrationale /9
9/ und auch reaktionäre Wege ging (Richtung Esoterik [Göttin, Hexe, Mystik] oder Richtung Biologismus [Differenztheorie, neue Mütterlichkeit]) erschien Schwarzer manchmal wie eine Vertreterin der Rationalität. Und die plumpen sexistischen Angriffe der reaktionären Seite auf /10
10/ Schwarzer beförderten dieses schiefe Bild. Eine Linke war sie nie und ich glaube mich zu erinnern, dass sie das selbst mehrfach so erklärt hat.
Als junge Feministin machte ich ein paar unangenehme Erfahrungen mit ihr, aber das ist nicht so wichtig. Später setzte ich /11
11/ mich als Publizistin mit »Emma« auseinander, in der Zeitschrift »ÖkoLinX«, die ich von 1991-1999 herausgab. Zum Beispiel mit der Freundschaft zwischen Alice Schwarzer und dem Tierrechtler Peter Singer, der die Tötung von schwer behinderten Neugeborenen guthieß. Dieser /12
12/ Abschnitt in Schwarzer Anpassungsprozess fiel nur avantgardistischen feministischen Gruppen auf und fand keinen Weg in bürgerliche Medien, weil die ja gleichfalls Fragen von Leben und Tod, Entwertung, Euthanasie und Bioethik, in die Köpfe der Menschen pressen wollten. /13
13/ Schon früher lassen sich rassistische Äußerungen von Schwarzer finden, was sie erst neuerdings abzumildern sucht, seit Antirassismus ein starkes Thema geworden ist. Schon lange vorher aber war Alice Schwarzer auf der politischen Seite von Bild-Zeitung, FDP und CDU /14
14/ gelandet. Ihre Vorstellung von »Gleichberechtigung« ist nicht soziale Gleichheit und emanzipatorische Befreiung aller Menschen, sondern bürgerliche Gleichheit bis zur Teilhabe an Steuerhinterziehung und Elitenbildung. Also nicht Abbau von patriarchalisch-kapitalistischer /15
15/ Herrschaft sondern die Beteiligung an den (und damit Stabilisierung der) herrschenden Verhältnisse. Schwarzers konkrete Entwicklung ist ohne die historischen und politischen Voraussetzungen schwer zu verstehen. Sie ist ist ja nur eine konkrete Variante der vielen /16
16/ Entwicklungen von irgendwo links nach irgendwo rechts.
Ich fände es klug, wenn junge Feministinnen die geschichtsrevisionistische Unterstellung, Alice Schwarzer repräsentiere die Frauenbewegung der 1970er Jahre nicht einmal ansatzweise übernehmen sondern sie /17
17/ historisch-kritisch überprüfen. Sie tun sonst den älteren und alten Feministinnen (von Olympe de Gouges, Clara Zetkin, Emma Goldmann, Simone de Beauvoir und Ulrike Meinhof und anderen), auf deren Schulter sie in Wirklichkeit stehen, unrecht. /18

tagesspiegel.de/politik/schwar…
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Ich hoffe, die Länge des Threads nervt Euch nicht. Der Text ist auch auf meinen Facebook-Seiten zu lesen. #Feminismus #MeToo #AliceSchwarzer @marga_owski @Tagesspiegel
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