, 17 tweets, 4 min read
Nach dem Terror kommt die Stunde der Politik. "Mord und Totschlag" gegenüber "Andersdenkenden" und "anders Glaubenden" sagt der Innenminister, aber um solche Finessen geht es nicht bei Antisemitismus.
Hätte er doch besser darüber gesprochen, warum die Synagoge in Halle keinen
Polizeischutz hatte.
Eine andere Protagonistin nannte die Terrorattacke ein "Alarmzeichen". Alarmzeichen sind Zivilschutzsignale, die vor drohender Gefahr warnen sollen. Die Toten wurden nicht gewarnt; die Verwendung des Begriffs "Alarmzeichen" ist
tagesspiegel.de/gesellschaft/h…
angesichts des Geschehens verharmlosend und vollkommen unangebracht.
Ein anderer meint, "in Halle sei passiert, was in Deutschland unvorstellbar schien", "das war mir unvorstellbar." Als habe es in der Nachkriegsgeschichte keine Angriffe auf jüdische Einrichtungen gegeben, mit
Verletzten und Toten. Es spricht gewissermassen aus ihm, dass die Sicherheitseinrichtungen in vielen jüdischen Stätten vollkommen entbehrlich gewesen seien - bis gestern. Denn das eine ist klar: Dass wir uns alle längst an die Normalität gewöhnt haben, dass jüdische Einrichtungen
mit Panzerglas, Sicherheitstüren und -fenstern und Waffendetektoren geschützt werden müssen, eine Entwicklung, die sich im Nachkriegsdeutschland verschärft, nicht entspannt hat; eine Situation, die an sich und beständig skandalös ist.
Dabei hat der Mann, der sich in dieser Weise
äußerte, erst in diesem Jahr die Vertreter einer Religionsgemeinschaft empfangen, die unter iranischem Einfluss stehen und zu denen die gehören, die den beschämenden al-Quds-Marsch in Berlin veranstalten. Wenn er also etwas gegen Antisemitismus hätte tun wollen, es wäre so
einfach gewesen: Die Antisemiten nicht in das Haus des Staatsoberhauptes zu lassen, der sie durch den Besuch und das Gespräch aufgewertet hat, als wäre es das Normalste von der Welt, mit Leuten zu verkehren, die den Judenhass des iranischen Regimes teilen.
Ich bin mir auch sicher, dass es in den Spiegel-Büros in Berlin große Betroffenheit gibt, selbst bei den Leuten, die eine Verschwörung aufdecken wollten und bei antisemitischen Schmierenartikeln endeten, in diesem Jahr. Sicher ist der WDR von der Partie, der 2017 die Ausstrahlung
einer Dokumentation zum zeitgemässen Antisemitismus verhindern wollte.
Deutschland bringt es nicht fertig, PFLP und Hisbollah zu verbieten, der Iran ist wichtiger als die "Staatsräson", zu der die Existenz Israels gehören solle. Natürlich darf man fragen, was das mit dem
Terrorakt in Halle zu tun hat, der - welch Glück im "Alarmzeichen" - von einem Neonazi begangen wurde, so dass nun alle einträchtig zusammenstehen können. Aber das die zeigt die Gewichtung des Kampfes gegen Antisemitismus in der politischen Klasse, und dann gilt, dass all diese
Fakten für den Antisemiten zusammengehören. Er leitet sein irres Bild eben auch von den Realitäten ab, auch wenn er sie missdeuten und sieben muss, Die Bestätigung einer IGS als einem seriösen Gesprächspartner des Staatspräsidenten, sie muss dem Antisemiten gleich welcher Sorte
immer auch Bestätigung sein. Man mag das bedauern, aber so ist es.
Diese wenigen Beispiele sollen verdeutlichen, dass der Antisemitismus wie ein Mosaik neben der kulturellen Tradierung aus vielen kleinen Teilen besteht. Der Täter mag Neonazi sein, aber er kommt aus unserer Mitte
und ist Teil unserer gemeinsamen Gesellschaft. Was sich zum Terrorakt auswächst, beginnt mit den Kleinigkeiten: dem "Du Jude" auf dem Schulhof, mit dem "Die sind doch alle reich", mit "Soros ist schuld", mit "Die Israelis gehen mit den Palästinensern so um wie die Nazis mit den
Juden". Diese Beispiele liegen nicht weit entfernt, und sie alle sind Steine in jenem Mosaik, auf dem der Attentäter steht, während er seine vermeintliche Omnipotenz durch kaltblütigen Mord auslebt.
Wer immer jetzt mit dem Finger auf die anderen zeigt: Der Fall Lübke ist
eindeutig. Beim Antisemitismus aber hängen wir alle mit drin.
Deshalb wäre es besser, statt der treffenden oder unzutreffenden Mitteilungen von denen da oben zu hören: Ich habe überlegt, was ich getan und unterlassen habe, und weiss nun, was ich zukünftig tun und unterlassen
muss. Das mag überraschend sein, aber darauf läuft es hinaus. Keine Worte - Handeln. Im Kleinen und im Großen. Jetzt.
Meine Hoffnung ist nicht groß, und ich wünschte mir, ich läge falsch.
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