, 12 tweets, 3 min read
6. Stunde, Kunst, 7. Klasse Hauptschule. Es ist verhältnismäßig still und die Kinder arbeiten konzentriert.

Plötzlich fällt das Stichwort #AfD

In meiner Klasse haben 75% einen Migrationshintergrund.

„Frau Jutschu, wenn die AfD regiert, werden wir dann rausgeschmissen?“ /1
Ich unterbreche die Kunststunde für dieses Thema. Erkläre was Koalitionen sind. Wie wahrscheinlich eine Regierung der AfD im Moment ist. Gehe die Wahlergebnisse von Thüringen durch. Erkläre Positionen der AfD und versucht meine Meinung dazu möglichst neutral zusammenzufassen. /2
Panik bricht aus.

„Aber 24 sind voll viel!“

„Was heißt, Deutschland den Deutschen?“

„Müssen wir dann alle zurück? Oder können wir uns ein neues Land aussuchen?“

„Abee die Ausländer hier zahlen doch auch Steuern und so!“ /3
Die Ängste sprudeln aus den Kindern heraus und werden erschreckend konkret.

„Ich bin hier geboren, aber mein Vater nicht. Er hat aber einen deutschen Pass. Muss er trotzdem gehen?“

„Wenn wie hier weg müssen, was ist dann mit unserem Haus?“

„Aber ich will doch Abi machen!“ /4
Ich versuche zu beschwichtigen. Versuche, ihnen die Angst zu nehmen. Es ist noch lang nicht so weit. Und selbst wenn eine Partei mit der AfD koalieren sollte, selbst wenn sie die absolute Mehrheit erreichen sollte - wir wissen nicht, ob es wirklich so wird.

Es hilft nicht. /5
Die Angst steht im Raum. Und steckt mich mit an.

Vor mir sitzen 16 Teenager und wollen von mir hören, das alles gut wird.

Und ich kann ihnen nichts versprechen.

24% sind mehr als ich je gedacht hätte. /6
Was mir bleibt ist die Zusage, dass mir egal ist, wie „deutsch“ sie sind. Dass viele Menschen genauso denken. Dass da noch die anderen 76% sind. Dass der Staat sich auch schützen kann.

Es fühlt sich wie ein Trostpflaster an. /7
Nach dem Klingeln steht ein Mädchen an meinem Tisch.

„Was kann ich tun, damit das nicht passiert? Wir müssen doch irgendwas tun!“ /8
Ich verweise auf Demonstrationen und Information an Erwachsene. Erinnere an FFF. Versuche erneut, zu beruhigen.

Im Moment seid ihr sicher. Noch ist es nicht soweit. Ich glaube immer noch daran, dass es nicht dazu kommt.

Wir werden weiter im Unterricht darüber sprechen. /9
Ich bleibe zurück mit einem miesen Gefühl im Magen.

War ich zu parteiisch? Zu persönlich? Zu neutral?

Habe ich etwas falsches gesagt?

Habe ich Angst geschürt, statt sie zu lindern?

Und...

Was ist, wenn die Angst berechtigt ist?

Auch das ist #Lehrerleben
Danke für die vielen lieben Worte. Sie haben mich sehr gerührt. Mit solch eine Resonanz hatt ich nicht gerechnet. Ehrlich gesagt bin ich etwas überwältigt.

Ich überlege, ob ich meine Klasse am Donnerstag ein paar Antworten vorlese, damit sie wissen, dass sie nicht allein sind.
Der Vollständigkeit halber - zwei Tage später:

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