1/7 Ein Grund für "victim blaming", also der Täter-Opfer-Umkehr, ist die Erwartungshaltung, dass die Welt grundsätzlich gerecht ist, dass Menschen im Leben das bekommen, was „ihnen zusteht“.
2/7 Diese Einstellung wird als „Gerechtigkeitshypothese“ bezeichnet und basiert auf einer angenommenen Form von kosmischer Gerechtigkeit, Stabilität und Ordnung. Viele Menschen wollen nun einmal denken, dass alles gut wird, wenn sie das Richtige tun.
3/7 Es wäre ein bedrohlicher Gedanke, erkennen zu müssen, dass einem selbst auch eine ungerechte Schädigung passieren könnte. Menschen beschuldigen also Opfer, um sich selbst weiterhin sicher fühlen zu können.
4/7 Sicher hätte die junge Frau den Übergriff vermeiden können, wenn sie sich nicht so aufreizend angezogen hätte, denn das ist ja schon eine gewisse Botschaft. Außerdem: Wer sich von einem fremden Mann auf ein Getränk einladen lässt, weiß, worauf er sich einlässt.
5/7 Die Hypothese wurde erstmals ausführlich in den frühen 1960er-Jahren von dem Sozialpsychologen Melvin J. Lerner untersucht. Seitdem wurde die Forschung fortgesetzt. Mehrere Faktoren beeinflussen, welche Personen die Hypothese eher befürworten.
6/7 Eine der wichtigsten Determinanten ist die eigene Erfahrung von Ungerechtigkeit: Wer ein hohes Maß an Ungerechtigkeit erfahren hat, wird weniger wahrscheinlich an Gerechtigkeit als Ordnungsprinzip glauben– außer man ist der Ansicht, dass man sein Unglück verdient hat.
7/7 Studien zeigen auch übereinstimmend, dass der Glaube an eine gerechte Welt stark mit Privilegien zusammenhängt. Menschen, die eine bevorzugte gesellschaftliche Stellung haben, wie Wohlhabende / Weiße / Männer, neigen eher dazu, die Gerechte-Welt-Hypothese zu unterstützen.
