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Zum Begriff "Künstliche Intelligenz": (Thread)

KI ist keine Technologie, sondern die Bezeichnung für ein Teilgebiet der Informatik.
Dieses Gebiet ist inhaltlich wie methodisch sehr vielfältig - was nicht weiter verwundern sollte, denn auch beim Menschen verweist der (schwammige) Begriff "Intelligenz" auf ganz unterschiedliche Fähigkeiten:
Sprechen, Wahrnehmen, das Planen von zukünftigen und das Lernen aus vergangenen Handlungen, logisches Schlussfolgern, analogisches Denken, uvm.

Gemeinsam ist diesen Fähigkeiten, dass sie für Menschen meist ganz natürlich und mühelos sind, für Maschinen aber schwierig.
Analysiert man Problemstellungen aus der KI mit den Mitteln der theoretischen Informatik, erweisen sie sich oft als "intractable", d.h. als im allgemeinen Fall nicht effizient lösbar.
Man könnte also sagen: KI ist das Teilgebiet der Informatik, das Methoden sucht, mit denen Computer für sie eigentlich unlösbare Probleme doch (heuristisch, approximativ, stochastisch, etc.) lösen können.
Der Name KI ist sicher nicht glücklich gewählt. Zu viele Assoziationen, zu viel Science Fiction. Zu viel übersteigerte Erwartungen auf der einen und Schreckensszenarien auf der anderen Seite.
Aber nochmals: Das Problem ist v.a. der Begriff "Intelligenz" an sich. Auch Psychologen operationalisieren seine Definition lieber: „Intelligenz ist, was der Intelligenztest misst.“ (Edwin Boring).
Ich mag deshalb ganz gerne die Definition von Ray Kurzweil:

"AI is the art of creating machines that perform functions that require intelligence when performed by people".
Das spielt den Ball quasi zurück in die gegnerische Hälfte, ähnlich wie es auch der Turing-Test tut: Sage mir, was Intelligenz ist - dann können wir darüber reden, ob eine Maschine das nicht ebenso haben kann.
Die Erfahrung aus 60 Jahren KI-Forschung ist übrigens immer wieder:

"As soon as it works, no one calls it AI anymore." (John McCarthy).

Das ist quasi der Umkehrschluss der obigen Definition:
Wenn ein Computer etwas kann, dann sieht man die Mechanik hinter diesem Verhalten, den Algorithmus. Dadurch verschwindet der Mythos des "requiring intelligence". Also ist es plötzlich "nur noch" Informatik und keine KI mehr.
Bsp. Schach: Spätestens seit Kasparov vs Deep Blue (1996) glaubt niemand mehr, Schach zu spielen setze Intelligenz voraus. Was jahrhundertelang quasi ein Intelligenztest war, reicht dann plötzlich nicht mehr als Ausweis von *künstlicher* Intelligenz
"War ja reine Rechenpower…"
Für die KI-Praxis, insb. in Abgrenzung von den verwandten aber nicht deckungsgleichen Zielen der Kognitionswissenschaft, finde ich den Ansatz "AI = rational agency" von Russell/Norvig immer noch am Nützlichsten:
Agenten operieren autononom in einer Umgebung, nehmen sie wahr, treffen Entscheidungen, adaptieren ihr Verhalten und ihre Ziele. Ein *rationaler Agent* verhält sich stets so, dass er das bestmögliche Ergebnis erzielt (nach irgendeiner Definition von "bestmöglich").
Es lohnt sich das im Detail im 1. Kapitel von "Artificial Intelligence - a Modern Approach" mal nachzulesen. (Setzt keinerlei Fachwissen voraus.)
Ganz wichtig ist mir (und, wichtiger, JEDEM KI-Forscher, mit dem ich in den letzten Jahren gesprochen habe) noch das:

KI ist nicht, ich wiederhole: ist NICHT gleichbedeutend mit Maschinellem Lernen!
In der Sprache der Mengenlehre:

Informatik > KI > ML > NN > DL

d.h. KI umfasst viel mehr als nur das maschinelle Lernen. Und auch dieser Teilbereich besteht nicht nur aus tiefen neuronalen Netzen (Deep Learning).
Wir sind (mal wieder) mitten in einem AI Hype-Zyklus. In den 80er-Jahren waren es die Expertensysteme, diesmal ist es Deep Learning. Es gibt zwar gute Gründe zu glauben, dass diesmal so schnell kein KI-Winter kommen wird.
Aber sich in der öffentlichen Wahrnehmung, der Forschungsförderung, der Industrie myopisch auf ein einziges Teilgebiet zu fokussieren, das (zumindest zurzeit noch) ziemlich essentielle Risiken hat (Stichwort: explainability), ist fahrlässig.
(Das ist aber v.a. ein Problem der Außensicht. Ich denke, die wissenschaftliche KI-Community ist sich dessen sehr bewusst.)
Zum Abschluss eine Quizfrage: Der "Russell/Norvig", unbestritten *das* Standard-Lehrbuch zur KI, umfasst in der noch aktuellen dritten Auflage ca. 1300 Seiten (deutsche Fassung). Wie viele davon, glaubt ihr, sind dem Thema "Maschinelles Lernen" gewidmet?
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