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Ich habe das letzte Semester in Schweden studiert und dort u.a. den Gynäkologie-Kurs besucht. Während in D Gruppen wie @MSFCBerlin dafür kämpfen müssen, dass das Thema #Abtreibung im Curriculum verankert wird, ist das dort selbstverständlich. Ein Thread zu meinen Erfahrungen:
Eine zweistündige Vorlesung widmete sich ausschließlich dem Thema #Schwangerschaftsabbruch. Neben der rechtlichen Gesetzeslage, globalen Situation, ging es v.a. um die medizinischen Aspekte (Methoden, Medikamenten-Arten etc.). Alles auf sachlicher Ebene.
Auch psychosoziale Aspekte wurden angesprochen. Hier konzentrierte man sich auf die bewiesene (!) psych. Belastung, die durch eine ungewollte Schwangerschaft (nicht durch den Abbruch!) entsteht, warum Menschen sich für Abtreibungen entscheiden und wie man hier unterstützen könnte
In einem Seminar sollten wir Referate halten. Meines war zur Abtreibung. Natürlich habe ich es mir nicht nehmen lassen kurz von der dt Gesetzeslage zu berichten. Ihr hättet mal den Schock + das Entsetzen auf den Gesichtern meiner schwed.Kommiliton*innen sehen müssen - unglaublich
Viele konnten nicht glauben, dass ein liberales und fortgeschrittenes Land wie D noch eine solch konservative und frauenfeindliche Gesetzgebung haben kann. Und noch viel schlimmer: dass wir Medizinstudierenden an Universitäten gar nicht bis kaum darin unterrichtet werden.
Denn in Berlin hätte ich genau ein Seminar zu diesem Thema gehabt (was ja bereits ein Fortschritt ist!), das jedoch nur die gesellschaftspolitischen, ethischen+ psycholog. Implikationen diskutieren soll. Die ebenso wichtigen medizinischen Aspekte werden weiterhin nicht behandelt.
Zuletzt waren wir mehrere Wochen in der Klinik. Hier sollten wir mind. 1 Tag auf der ambulanten ‚Abtreibungsstation‘ - die erste Anlaufstelle für (ungewollt) Schwangere - absolvieren. Ich war einer Ärztin zugeteilt und durfte den Beratungsgesprächen beisitzen.
Hier wurden die Schwangeren bzgl. Abbruch-Methoden und -Ablauf ausführlich aufgeklärt, die Schwangerschaft (per Ultraschall) festgestellt und - falls der Beschluss der Schwangeren gesichert war - die nächsten Schritte eingeleitet.
Zum Hintergrund: Abtreiben kann man in Schweden bis zur SSW 21+6. Bis zur SSW 17+6 dürfen die Schwangeren dies komplett selbstständig entscheiden. Niemand darf da mit- und reinreden, d.h. auch in den Beratungsgesprächen wurde nie nach den Beweggründen o.Ä. gefragt.
Die Gespräche dienen lediglich dafür, dass sie die Entscheidung so informiert wie möglich treffen können und die notwendige Unterstützung (sozial, psychologisch etc.) erhalten, die sie brauchen. & so habe ich das auch erlebt. Niemand wollte irgendjemanden zu irgendetwas überreden
Und das Ergebnis ist: trotzdem finden fast alle Abbrüche vor der 12. Woche statt (57% <7. SSW, 84% <9. SSW). >90% werden medikamentös durchgeführt. Bis zu 9.SSW können das die Schwangeren sogar zu Hause selbstständig tun.
Eine #Curettage wird schon viele Jahre nicht mehr durchgeführt. In der Vorlesung war D sogar Negativbeispiel dafür, dass wir diese Methode immer noch verwenden, obwohl veraltet und wissenschaftlich überholt.
Im Ausland kommt eure Handhabung also übrigens nicht so gut an...
Trotz der ziemlich liberalen Gesetzeslage habe ich keine Person getroffen, die diese Entscheidung leichtfertig getroffen hat. Diese Ängste der GroKo, dass Abtreibungen durch liberalere Regelungen plötzlich zum ‚Mode-Eingriff‘ werden würden, sind doch einfach Quatsch.
Das ist bei der ‚Pille danach‘ nicht so (gewesen), das ist beim Abbruch ebenfalls nicht der Fall. Es geht einfach darum, dass Menschen in einer Notsituation die medizinische Betreuung und Hilfe erhalten, die sie brauchen. Und zwar legal und unvoreingenommen.
Achso, und fangt mir bloß nicht mit #219a an. So etwas würde den Schwed*innen im Schlaf nicht einfallen. Natürlich gibt es alle notwendigen Informationen im Internet. In sachlicher Form. Ärztin*innen dürfen darüber öffentlich aufklären und informieren.
Einfach als kleines Bsp: das ist ein Screenshot vom Instagram-Account des Krankenhauses, an dem ich studiert habe. Hier werden die versch. Stationen mit ihrem Personal vorgestellt und ihre Aufgabenbereiche beschrieben. Im Februar war die ‚Abtreibungsstation‘ dran. Seht selbst: Screenshot des Instagram-Accounts des Uni-Krankenhauses. Jede Woche werden hier verschiedene Abteilungen mit ihrem Personal vorgestellt und kurz beschrieben, was sie tun.
... und wir verurteilen Ärztin*innen wie Dr. Gaber nur weil sie auf ihrer Website schreiben: „Auch ein medikamentöser, narkosefreier Schwangerschaftsabbruch gehört zu den Leistungen von Frau Dr. Gaber.“ Kann mir das Jemand mal erklären?
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