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Ein Thread zur #IWRegionalstudie die wir gestern in Berlin vorgestellt haben und die von den Medien stark aufgegriffen wurde

Die Studie identifiziert 19 Regionen in Deutschland, die akute Probleme haben bei
1. Demographie
2. Wirtschaft
3. Infrastruktur

iwkoeln.de/studien/iw-stu…
Davon liegen 11 in Ost- und 8 in Westdeutschland

Jede hat ihre ganz eigene Problemgeschichte. Aber das generelle Muster ist: ungünstige demografische Entwicklung im Osten, desolate Kommunalfinanzen im Westen und gravierende Infrastrukturmängel überall.
Ein paar Worte zu den Kommunalfinanzen. Die Probleme konzentrieren sich vor allem in NRW, Rheinland-Pfalz und dem Saarland.

Dort gibt es Kommunen mit einem Bestand an Kassenkrediten von bis zu 8300 Euro pro Kopf. In Bayern und BaWü liegt das eher bei null.
Woher kommen diese Schulden?

Die Gründe sind natürlich - wie immer - vielschichtig. Aber es liegt *nicht* zuvorderst daran, dass die dortigen Kommunalpolitiker goldene Wasserhähne im Rathaus installiert oder sonstwie "über ihre Verhältnisse" gelebt hätten.
Vielmehr liegt es an strukturellen Defiziten beim sog. "Konnexitätsprinzip"

Kommunen haben bestimmte gesetzliche Aufgaben, z.B. Kosten der Unterkunft im Grundsicherungsbereich.
Dort wo es viele Leistungsempfänger gibt, sind diese kommunalen Sozialausgaben entsprechend hoch.
Und die Kommunen haben eine finanzielle Ausstattung, die ihnen in großen Teilen vorgegeben ist, nämlich durch Beteiligung an den großen Steuertöpfen ESt und USt.

Ausnahme ist die Gewerbesteuer, wo die Gemeinden individuell ihren "Hebesatz" festlegen dürfen.
Aber im Grunde gilt: Man muss die vorgegebenen Pflichtaufgaben mit den zur Verfügung stehenden Mitteln erledigen. Und wenn dann noch eine "freie Spitze" übrig ist, kann man "freiwillige Leistungen" finanzieren.

Das sind dann ua die Investitionen: Schulen, Kitas, Straßen usw.
Die westdeutschen Problemregionen haben fette Strukturbrüche erlebt. Im Ruhrgebiet sind Kohle und Stahl abgeschmiert, in der Pfalz die Textil- und Schuhindustrie.

Sie sind "Globalisierungsverlierer", denn das lag auch an Importkonkurrenz zB auch China

archiv.wirtschaftsdienst.eu/jahr/2017/1/ve…
In den Regionen wurden also auf einen Schlag viele Menschen arbeitslos und viele davon landeten über kurz oder lang in der Grundsicherung.

Damit stiegen die Ausgaben für die Sozialleistungen, die von den Kommunen geleistet werden müssen und die der Bund quasi "bestellt" hat.
Aber er hat sie eben nur bestellt, aber nicht (komplett) bezahlt. Denn er beteiligt sich zwar über Zuschüsse. Aber mehr als 50% der Kosten blieben an den Kommunen (bei ansonsten unveränderter Einnahmensituation) selber kleben

Siehe Junkernheinrich et al:
gar-nrw.de/sites/default/…
Was kann man nun tun?

Möglichkeit 1: Dort sparen, wo man es darf. Also bei der "freien Spitze".

Es überrascht also nicht, dass die "Globalisierungsverlierer" Ruhr & Pfalz zu den Regionen mit den geringsten Investitionen gehören: Schwimmbad zu, eklige Schulklos, Schlaglöcher
Ad 2: Wenn das nicht mehr geht, flüchtet man in die Kassenkredite. Die waren mal für kurzfristige Liquiditätsversorgung gedacht, aber wurden zur Dauereinrichtung.

Wieder mit dabei: die bekannten Gesichter Ruhr&Pfalz

Generelles Muster: Viele Grundleistungsempfänger -> hohe KK
Im Fall der Überschuldung tritt dann die Kommunalaufsicht auf den Plan und übernimmt die Haushaltskontrolle. Ähnlich wie die Troika

Dortige Ansage ganz oft: Haushalt überschuldet, Einnahmen müssen rauf, also Gewerbesteuer-Hebesatz rauf 🤯

Folge: hohe KK -> hohe lokale Steuern
Was machen aber gut verdienende Familien, die vor Ort nur noch schlechte Infrastruktur vorfinden? Richtig! Sie ziehen um. Zum Beispiel von Duisburg nach, ähem, Düsseldorf 🤗

Was machen Firmen? Sie siedeln auch um. Von Oberhausen zB nach Monheim wo die Gewerbesteuern niedrig sind
Mit jedem der geht, wird die Situation aber schlimmer:
Steuereinnahmen schwinden. Hebesätze müssen noch weiter rauf. Noch mehr Schwimmbäder und Bibliotheken schließen usw.

Deswegen ziehen dann aber noch mehr weg

Hirshman nannte das "cumulative causation" -> eine Abwärtsspirale
Ja und da stehen wir jetzt. Unterbrochen bloß durch den Boom der letzten Jahre.

In der Zwischenzeit sind Kassenkredite von gut 43 Milliarden Euro aufgelaufen. Und die Story dürfte ein wesentlicher Treiber hinter dem Einbruch der Investitionen sein, kommunal wie allgemein.
Gretchenfrage: Was machen wir jetzt?

In der #IWRegionalstudie schlagen wir zwei Dinge vor:

1. Altschuldentilgung
2. eine Neuordnung der kommunalen Finanzausstattung
Die hoch verschuldeten Kommunen kommen von alleine nicht auf die Beine - sie sind hoffnungslos überschuldet.

Die Altschuldentilgung ist im wesentlichen eine Aufgabe der Länder, die für ihre Kommunen zuständig sind.
Ein gutes Beispiel, wie das gehen könnte, ist die "Hessenkasse".
Aber damit ist es nicht getan. Die Ursache der Krise war ja strukturell bedingt: von den Kommunen wurde etwas bestellt, aber nicht wirklich bezahlt.

Wenn wir also bloß die Altschulden tilgen und ansonsten alles beim Alten lassen, dann kehrt das Problem irgendwann zurück.
Ergo müssen die Kommunen adäquat ausgestattet werden. So, dass sie ihre Sozial-Aufgaben durchführen können und trotzdem Geld für ganz normale Infrastrukturinvestitionen übrig bleibt

Ohne dass man für jeden Pups einen Förderantrag stellen muss, wofür auch oft das Personal fehlt
Welche konkreten Modelle man da anvisieren sollte, darüber kann man diskutieren.

Sollte man zB die Gewerbesteuer ganz streichen und dafür die Kommunen stärker an der USt beteiligen?
Das wäre ein denkbares Modell.

Aber zum Schluss noch eine wichtige Bemerkung....
Altschuldentilgung, haircut, bailout, viele kleine deutsche Griechenlands???

Da stellen sich vielen Ökonomen die Nackenhaare auf! Es riecht nach "moral hazard": Die unverantwortlichen Kommunalpolitiker werden raus gehauen, also werden sie danach sofort wieder so weitermachen...
Wirklich? Nein, wohl nicht, denn die Ursache der Krise waren ja keine unverantwortlichen Entscheidungsträger, die in Saus und Braus gelebt und reihenweise teure aber nutzlose kommunale Prestigeobjekte verbaut haben.

Ausnahmen bestätigen die Regel.
In Wirklichkeit wurde ein anderes Stück gespielt. Eines, wo Regionen durch unzureichende und falsch strukturierte Regeln auf eine Abwärtsreise geschickt wurden.

Während andere Regionen auf der Sonnenseite keine Probleme hatten und ihre Hebesätze schön senken konnten.
Die Zeit zur Lösung dieses Altschuldenproblems ist jetzt besonders günstig. Denn der Bund (und auch die Länder) könnten sich ja bekanntlich gerade zu NEGATIVZINSEN verschulden.

Sie könnten, wenn sie denn dürften... #Schuldenbremse
Jedenfalls hoffen wir, dass wir durch die #IWRegionalstudie das Problem stärker ins Bewusstsein gerückt und Lösungsvorschläge gemacht haben, die nun umgesetzt werden.

In der Studie behandeln wir auch noch viele weitere spannende und wichtige Probleme der Regionalpolitik. /END
PS: Wem das zu lang war, über die Studie wurde in allen großen Zeitungen und auch sehr vielen Regionalzeitungen berichtet.

Der Ausschnitt aus der @tagesschau ist hier:

tagesschau.de/multimedia/vid…
Tja, @michael_huether @mvoigtlaender, wie man‘s macht... da will man dem Ruhrgebiet helfen, erklärt, dass viele Probleme gar nicht hausgemacht waren, macht konstruktive Lösungsvorschläge...

Aber @inascharrenbach schimpft in der WAZ, dass wir bloß alles schlechtreden wollen 🤷🏼‍♂️
Der Vorwurf der „mangelnden Transparenz“ und dass „da irgendwas nicht stimmen könne“ ist übrigens eine Unverschämtheit, liebe @inascharrenbach

Wir arbeiten mit den 96 vom @bbsr_bund (einer Bundesbehörde!) definierten Raumordnungsregionen. Vielleicht erstmal die Studie lesen.
@inascharrenbach @bbsr_bund Erste konkrete (und konstruktive) Reaktionen aus der Politik auf unsere #IWRegionalstudie

handelsblatt.com/politik/deutsc…
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