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Ich muss mal ein paar Worte zu Behindertenfeindlichkeit loswerden. Stuktureller Behindertenfeindlichkeit, ebenso wie persönlicher Behindertenfeindlichkeit.

Häufige Fehlvorstellung ist, dass man Behindertenfeindlich ist, sobald man etwas 'gegen Behinderte hat'. (1/)
Natürlich hat niemand etwas gegen Behinderte. Eigentlich.
Die meisten Menschen würden sich vermutlich eingestehen, dass sie sich in Gegenwart behinderter Menschen unsicher fühlen und gehemmt. Weil man so selten welche sieht und nicht gelernt hat, damit umzugehen. (2/)
Aber echte Abneigung? Nein!

Das sieht und hört man nur bei ganz wenigen Menschen und noch weniger würden zugeben, sie zu empfinden.

Also alles tuti, oder?

Behindertenfeindlich ist man ja nur, wenn man eben offen sagt, dass man Behinderte nicht mag?!? (3/)
So einfach ist das dann leider doch nicht.
Strukturelle Behindertenfeindlichkeit ist eben nicht offene Abneigung und ausgelebter Hass, sondern ein Konglomerat aus Verhaltensweisen und Einstellung gegenüber Menschen mit Behinderungen. (4/)
Anlaß für diesen Tweet ist, zwei Tweets heute bzw. die vergangenen Tage, die das Problem wieder stärker in meinen Fokus gebracht haben. Teilweise, weil sie so harmlos und fast in Sorge gehüllt daher kommen. Weil dem flüchtigen Leser nicht auffallen wird, was genau da passiert(5/)
Aber sie alle zeigen, wie schnell diese vorgebliche Sorge auch kippen kann und Menschen mit Behinderungen, ähnlich wie andere marginalisierte Gruppen, schnell vor allem zu einem werden: Zu Sündenböcken. (6/)
Vorwarnung: Ich hab nur noch eine halbe Stunde, bis ich hier los muss. Daher wird es wohl nur den ersten Teil jetzt geben und den zweiten Teil dann irgendwann später heute Abend. (Interlude)
Also, Beispiel 1:

Ich habe mir vorhin die Pressekonferenz des @rki_de zu #COVID19germany angeschaut und dabei - leider - auch Kommentare gelesen. Unter der Lawine Mist und Verschwörungstheorien, auch dieser hier.
(7/) Facebook-Kommentar Screenshot. Benutzerbild und Name wurden anonymisiert. Text:
Ihr merkt was hier passiert, oder?
Ich meine ... dass Menschen, normale Menschen, es mit der Hygiene nicht immer so genau sehen, ist weitreichend bekannt.
Nicht umsonst ist Händeschütteln und sind Türklinken mit die größten Infektionsherde. (8/)
Aber hier wird das Narrativ aufgebaut, dass jegliche Tipps und Anstrengungen für bessere Hygiene, um eine Pandemie einzudämmen, ohnehin vergebens sind, denn selbst wenn sie, die 'Gesunden' alles richtig machen, dann wären da ja immer noch die 'Eingeschränkten'. (9/)
Für das unausweichliche Mißlingen der Anstrengungen um Eindämmung von #covid19 wird also bereits jetzt die Erklärung gesucht und gefunden: Wir wollten ja, aber wir konnten nicht. Weil DIE ANDEREN ja noch da sind. Wir sind nicht schuld. (10/)
Und wenn wir doch schuld sind, macht es nichts, denn es hätte sowieso nicht funktioniert. Weil wegen der "Eingeschränkten". (11/)
Diese wenigen Worte haben dann noch ein paar Layer mehr. Denn wir reden hier natürlich auch über die vorgebliche Unsauberkeit behinderter Menschen, die eine ganz eigene Kategorie der strukturellen Behindertenfeindlichkeit ist. Aber dazu mehr. Ich muss weg. (12/)
+später
So. *fingerknacks* Weiter geht es.

Also: Behinderte Menschen und Körperpflege.

"Behinderte stinken". Das ist in einigen Teilen der Bevölkerung nicht nur ein stehender Begriff, sondern auch die feste Überzeugung und auch sie hält u.U. als 'Begründung' für Übergriffe her. (13/)
@JuleStinkesocke Hier sieht man unter anderem den "Horns Effekt" am Werk. Das heißt, als Mitglied einer Minderheit - hier Menschen mit Behinderungen - steht man unter besonderer Beobachtung. Es wird geradezu Negatives erwartet. Minderleistung, fehlende Körperpflege, Kriminalität. (15/)
Nun zeigen die meisten Menschen nicht rund um die Uhr ihre besten Seiten. Aber solange man zur Norm gehört, wird das ignoriert.
Gehört man jedoch einer Minderheit an, wird der Krümel vom Pausenbrot auf dem Kragen zu einem "Sie kommt immer total verdreckt in die Schule". (16/)
Ein schönes Beispiel findet ihr z.B. hier:

Das ist der "Horn Effekt". Es wird Negatives erwartet und wenn Negatives erwartet wird, wird es sogar dann gefunden, wenn es nicht existiert. (17/)
Fakt ist aber, es gibt wahrscheinlich nicht mehr Menschen mit Behinderungen, die ihre Körperpflege vernachlässigen, als es Menschen ohne Behinderungen gibt.

Jeder kennt Menschen, in deren Gegenwart er sich kaum zu atmen wagt. (18/)
Daraus macht niemand, dass Menschen ohne Behinderungen ja gar nicht auf ihre Körperpflege achten, obwohl jede Bürotürklinke mehr Biohazard ist als ein Bus voller behinderter Menschen. (19/)
Aber die Legende, die Behauptung, das negative Stereotyp existiert und es braucht nur einen Schritt, um von dem tief in Menschen festsitzenden Vorurteil, dass sich MmB nicht richtig pflegen, zu dem Schluß zu kommen, sie wären ein besonderes Infektionsrisiko. (20/)
Auch hier würde niemand zugeben, behindertenfeindlich zu sein.
Das Vorurteil würde mit "Erfahrung" begründet. Man habe ja schon mal erlebt, dass ...

Den Horn Effekt reflektieren nur wenige.
Nur wenige würden zugeben, bei MmB a) genauer hinzusehen und b) strenger zu werten (21/)
Auch wenn sich dieses Vorurteil im ersten Moment nur lächerlich anhören mag, es kann existenzbedrohende Folgen haben. Es dient als Trigger ungehemmter Gewalt gegenüber MmB, wie im weiter oben verlinkten Beispiel zu sehen. (22/)
Es kann sogar auf das Umfeld übergreifen. Eltern mit Behinderungen sehen sich nicht selten dem Vorwurf gegenüber, dass sie nicht richtig für ein Kind sorgen könnten, weil sie eben nicht richtig für dessen Hygiene sorgen könnten. (23/)
Eine mir bekannte Kindergärtnerin gab einmal an, ein Kind, das bei einem behinderten Elternteil lebt, habe oft nicht richtig gut geputzte Zähne.

Ich wäre gespannt bei wie vielen anderen, nicht behinderten Eltern Erzieher kontrollieren, wie gut die Zähne geputzt sind. (24/)
All das ist kein Haß gegen Menschen mit Behinderungen, keine Abneigung, aber es handelt sich um strukturelle Behindertenfeindlichkeit und die daraus resultierenden Aktionen (oder das Unterlassen von Aktionen) ist behindertenfeindlich.

(25/)
*sind
(Es wird noch weitergehen, aber ich geh erst mal ins Bett. Morgen dann.)
Wobei, noch schnell etwas, das auch zum "Horn Effekt" gehört: nämlich die erwartet Minderleistung von Menschen mit Behinderungen.
(26/)
Hierunter fällt, meiner Vermutung nach, dass gerade Jugend- und Sozialämter massenhaft Zeugnisse von Kindern anfordern, die Schulbegleiter haben oder Hilfen zur Inklusion auf einer Regelschule erhalten.
Meine Vermutung ist, dass der Gedankengang dort wie folgt aussieht (27/)
"Wenn das Kind gute Noten hat, dann ist es eigentlich gar nicht behindert. Behinderte Kinder sind Minderleister, also muss sich das auch in den Noten niederschlagen. Wer also gute Noten hat, ist in Wirklichkeit nicht behindert und braucht auch keine Hilfen." (28/)
Ein Gedankengang, der dann schnell weitergeführt wird in die Bahn: "Und wenn das Kind schlechte Noten hat, dann sieht man daran, dass Inklusion nichts taugt und das Kind sollte besser auf eine Förderschule gehen".

(29/)
Wie man sich dreht und wendet, behinderte Menschen können in dieser Argumentation nicht gewinnen. Entweder sie sind Minderleister und gehören in ein Sondersystem abgeschoben, oder sie sind gar nicht wirklich behindert und ihnen werden Hilfen entzogen. (30/)
Das diese Hilfen gedacht sind, dass Kinder mit Behinderungen, ihre Talente voll entfalten können und es das Ziel ist, dass eben nicht ein Nachteil in einem Bereich, die gesamte Bildungslaufbahn in Gefahr bringen darf, wird ignoriert. (31/)
Ignoriert wird, dass der Inklusionsgedanke verhindern soll, dass ein Kind, das nicht gut von der Tafel ablesen kann, deswegen nicht auch kein Mathe, Bio oder Chemie lernen darf. (32/)
Oder dass ein Kind, dass sich selbst schlecht strukturieren kann, dennoch in der Lage sein kann, höhere Konzepte zu begreifen und umzusetzen.

Auch diese Art binäres Denken, ist strukturelle Behindertenfeindlichkeit: (33/)
Also: Entweder man schafft es ohne Hilfe - ist also nichtbehindert - oder man ist zu behindert um es auch nur versuchen zu dürfen.

Wer Fähigkeit X nicht hat, darf auch die Fähigkeiten Y und Z nicht anwenden. Man hätte ja die Chance einfach X zu können, sonst Pech. (34/)
Erneut: das ist kein offener Haß, keine Abneigung gegen behinderte Menschen.
Aber Ausdruck einer strukturell behindertenfeindlichen Gesellschaft, in der alles seine Ordnung haben muss & es nicht angehen kann, dass wer die einfache Dinge nicht kann, doch schwere Dinge kann. (35/)
Dieser Punkt der strukturellen Behindertenfeindlichkeit ist gravierend.
Er ist dafür verantwortlich, dass nur wenige, privilegierte MmB ihre persönlichen und beruflichen Wünsche überhaupt verwirklichen können.
Dem Rest wird es bereits in den ersten Schuljahren verwehrt. (36/)
Geistige Notiz an mich selbst, später noch auf einen anderen Aspekt einzugehen, aus dem Menschen mit Behinderungen 'zu ihrem Besten' davon abgehalten werden, in den Bereichen Leistung zu bringen, in denen sie es könnten. Dazu fehlt mir jetzt die nötige geistige Wachheit. (37/)
Weiter gehts. Aber ich muss vorwarnen, dass ich wohl auch heute nicht mit dem Thema durchkommen werde.

Also: warum dürfen Menschen mit Behinderungen oft nicht die Leistung bringen, die sie bringen könnten, nur weil sie nicht jede Art Leistung bringen können? (38/)
Wir haben für verschiedene Arten Menschen Plätze, Aufgaben in der Gesellschaft vorgesehen, die sich diese Menschen nicht ausgesucht haben.
Dicke zum Beispiel, haben sowohl die Aufgabe gleichzeitig "Cautionary Tale" zu sein, als auch gesellschaftlich sanktioniertes Ventil. (39/)
"Cautionary Tale" der Art: da sieh, was passiert, wenn du dich gehen lässt.

Es ist gesellschaftlich akzeptiert Dicke als der Liebe unwürdig zu sehen. Es ist gesellschaftlich akzeptiert, sie zu erziehen, zu maßregeln.

(40/)
Sogar Mobbing und seelische Grausamkeit gegenüber Dicken ist gesellschaftlich akzeptiert, zu 'ihrem Besten' um ihnen 'Anreize zu geben abzunehmen'.

Die Rolle von Menschen mit Behinderungen ist ähnlich vordefiniert, sieht aber anders aus. (41/)
Damit die Gesellschaft sich einbilden kann, vorwärts gekommen zu sein und sich zu einer höheren Form der Existenz erhoben zu haben - im Vergleich mit dem als rückständig empfundenen Menschen des Mittelalters, beispielsweise - dienen Menschen mit Behinderung als Maß. (42/)
Ein Maß, an dem man aber vor allem Güte und Wohltätigkeit misst, aber nicht Akzeptanz oder die gleichberechtigte Annahme von Menschen mit Behinderungen in der Gesellschaft.
(43/)
Aber auch hier finden wir erneut ein "Cautionary Tale" nämlich: Sieh hin, es könnte dir schlechter gehen.

Ja, ich rede natürlich von der Rolle von Menschen mit Behinderungen, als "Inspiration Porn".

(44/)
Was Inspiration Porn ist, erklärt Stella Young immer noch am Besten.

Im Prinzip ist eine zugeteilte Aufgabe von Menschen mit Behinderungen, für Menschen ohne Behinderungen, Druckmittel der sozialen Kontrolle zu dienen. (45/)
"Jammer nicht. Du hast Arme."
"Warum bist du depressiv? Du könntest auch wie der im Rollstuhl sitzen und der bringt sich auch nicht um."
"Mein Leben ist nicht so übel, es könnte mir gehen wie diesem armen Tropf."
Problem: Mitleid haben und zeigen offenbart ein Machtgefälle. (46/)
Einer gibt (Mitleid) ein anderer empfängt es. Selbst, wenn er es gar nicht will. Es ist aber immer ein Austausch von oben nach unten. Kein Austausch auf gleicher Ebene.

Was aber nun, wenn der Rollstuhlfahrer hinter dem Schreibtisch des Chefs sitzt? (47/)
Was wenn der Spastiker vor der Tafel steht und über Neurobiologie doziert?
Was wenn die Dame mit der Cerebralparese über deine Einstellung entscheidet?
Was, wenn der Autist Klassenbester ist?

Ihr merkt, worauf ich hinaus will?
(48/)
Die zugewiesene Rolle wird gebrochen.
Nicht nur, entziehen sich Menschen mit Behinderung dann dem Mitleid und der Wohltätigkeit. Das Machtverhältnis wird sogar herumgedreht und das können viele Menschen dann nicht mehr aushalten.

(49/)
Auch der "Inspiration Porn" geht auf einmal flöten. Aus dem "sieh, was der mit seiner Behinderung alles erreicht" wird Neid.

(50/)
Es ist kein Zufall, dass ein Radiomoderator, nach Stephen Hawkings Tod einen Physiker im Interview fragte, ob man bei der Bewertung seiner Arbeit nicht vielleicht habe 5 gerade sein lassen.

(51/)
Im Sinne von "Zwinker, zwinker. Jetzt, wo er tot ist, können sie ja zugeben, dass er eigentlich gar nicht so viel auf dem Kasten hatte und sie alle nur so getan haben, weil er ja ein armer, behinderter Tropf war."

thecanary.co/uk/2018/03/14/…
(52/)
Stellt euch das mal, bei einem nichtbehinderten Top-Wissenschaftler vor. "Hat man bei seiner Arbeit vielleicht nicht so hohe Maßstäbe angelegt, weil er Vater von drei Kindern war" ...

Undenkbar.

(53/)
Aber hier wollte, denke ich, der Moderator selbst wieder ein bisschen das in die Schieflage gekommene Weltbild gerade rücken. "Nicht ich bin der Versager, weil ich es auch ohne Behinderung nur zum Radio geschafft habe, sondern eigentlich gab es für Hawking Extrawürste." (54/)
Erfolgreiche Menschen mit Behinderungen entziehen sich ihrer zugedachten, gesellschaftliche Rolle und sie werden zu einer Gefahr für das Selbstbild nichtbehinderter Menschen.

Erneut: auch hier rede ich nicht von bewusstem und offenen Haß auf Menschen mit Behinderungen. (55/)
Sondern ich rede von struktureller Behindertenfeindlichkeit.

Das erklärt, warum die "Fordern & Fördern"-@fdp, die sich selbst gerne immer noch "Menschenrechtspartei" auf die Fahne schreibt (lange nicht mehr zutreffend), die destruktivste Kraft in Bezug auf Inklusion ist. (56/)
@fdp Das Selbstbewusstsein der Leistungselite ist nicht stark genug, um Menschen neben sich zu ertragen, die aus einer schlechteren Startposition das Gleiche erreicht haben.
Für Verfechter der Individualität endet sie, sobald jemand in einem oder mehreren Punkten Hilfe braucht.
(57/)
@fdp Eine Leistungselite, die nur zu oft Menschlichkeit vermissen lässt und sich diese dann durch wohltätiges Verhalten wieder holen oder selbst-bestätigen will.
Auch in Wohltätigkeit liegt ein Machtgefälle. Auch Wohltätigkeit wird von dem Einen gegeben, von anderen empfangen. (58/)
Wohltätigkeit unterscheidet sich von Hilfe darin, das man bei Hilfe um genau die Art bitten kann, die man benötigt, während Wohltätigkeit gibt, was der Wohltätige zu Geben bereit ist. Wohltätigkeit bedeutet, oft genau nicht zu bekommen, was man braucht. (59/)
Aus diesem Grund emanzipazieren sich Menschen mit Behinderungen seit Jahrzehnten von dem Wohlfahrtsgedanken, bzw. dem Wohlfahrts-Modell von Behinderung und streiten für ihr Recht auf Unterstützung. (60/)
Und zwar um genau die Unterstützung die sie brauchen, die es ihnen ermöglicht, das Leben selbstbestimmt zu formen. Unterstützung, die sie aus der Schonraumfalle Förderschule+Behindertenwerkstatt herausholt und individuelle Lebensentwürfel möglich macht. (61/)
Lebensentwürfel. Ich glaube, ich bin auf Rollenspiel-Entzug. Seht es mir nach. ;) (Interlude)
Screenshot einer Antwort mit Erlaubnis veröffentlicht, wegen geschlossenem Account: Deshalb finde ich den Unterschied zwischen " src="/images/1px.png" data-src="https://pbs.twimg.com/media/ER4PYnYWkAAO8ib.jpg">
Aber im "etwas für Behinderte tun" liegt viel Selbstverständnis und Selbstverwirklichung einiger nichtbehinderter Menschen. Einige (zum Glück nicht alle) gehen mit völlig falschen Motivationen in den Beruf oder in die Freiwilligenarbeit.
(62/)
Es ist völlig okay, einen Beruf zur Selbsterfüllung zu wählen. Es ist aber problematisch, diese Selbsterfüllung über andere Menschen erhalten zu wollen. Jedenfalls über ein gewisses Maß hinaus. Wenn das Ziel ist, Dankbarkeit zu erhalten, beispielsweise. Oder Kontrolle. (63/)
Oder ein besonderes Ansehen bei der Außenwelt.

Ich bin meiner Friseurin sehr dankbar für ihre Arbeit, ihr Verständnis, dass ich mich nicht ausschweifend unterhalten will und ihre Akzeptanz mir kein Haarspray gegen meinen Willen aufzuzwingen. (64/)
Aber ich zweifle, dass sie ihren Beruf um der Dankbarkeit der Kunden wegen gewählt hat. Die kommt dort nämlich nicht automatisch und wird auch nicht so selbstverständlich erwarte, wie von Menschen mit Behinderungen. (65/)
Eine Bäckereifachverkäuferin wählt den Beruf nicht, wegen des gesellschaftlichen Ansehens den er bringt oder weil die Leute so dankbar sind, wenn sie ihnen morgens den Kaffee und die Brötchen über die Theke schiebt. (66/)
Eltern junger Kinder und Krankenpflegepersonal ziehen Menschen an und wechseln Windeln. Sie und Mitarbeiter der Stadtreinigung wischen Erbrochenes weg.
Mitarbeiter der Müllabfuhr oder der Abwasserexperten beschäftigen sich täglich mit menschlichen Hinterlassenschaften. (67/)
Aber sie bekommen den Mindestlohn und Verachtung, dass sie es nicht weiter im Leben gebracht haben. Nur Menschen, die mit behinderten Menschen arbeiten, bekommen eine Spezialbehandlung in Sachen gesellschaftliches Ansehen.
"Das könnte ich ja nicht!" (68/)
Das liegt auch daran, dass diese Berufssparten eben diesen gesellschaftlichen Status mit aufgebaut haben und zwar schon seit über 100 Jahren.

Leider wird unter Heilerziehungspflegern oder Sonderpädagogen die Geschichte der Berufssparte noch kaum reflektiert. (69/)
Zum Status gehört auch die Legende, dass die Arbeit mit behinderten Menschen besonders schwer, besonders unzumutbar ist. Dadurch, durch nicht reflektierten Machtverhältnisse und durch die Erwartungshaltung tragen diese Berufe zu struktureller Behindertenfeindlichkeit bei. (70/)
Wer mehr über die Hintergründe wissen will, vor allem wer sich mit dem eigenen Beruf beschäftigen will, findet gutes Material in der Forschung von Dagmar Hänsel. de.wikipedia.org/wiki/Dagmar_H%… (71/)
Dankbarkeit an sich ist nebenbei nicht das Problem. Nicht, wenn sie freiwillig gegeben wird. Sehr wohl aber, wenn sie erwartet wird oder gar Voraussetzung für Unterstützung ist. (72/)
Selbstbewusste, erfolgreiche Behinderte brechen aus ihrer gesellschaftlich zugewiesenen Rolle aus. Weder sind sie das Maß, an dem man die Qualität des eigenen Lebens, der eigenen Erfolge messen kann, noch liefern sie Status und Dankbarkeit. (73/)
Strukturelle Behindertenfeindlichkeit wird daher oft in der Form sichtbar, dass MmB zurück in die vordefinierte Rolle gedrängt werden.
Zum Beispiel in dem Nachteilsausgleiche verweigert werden und Vorraussetzungen geschaffen, die zum unweigerlichen Versagen führen. (74/)
Nur wer keine Wahl, keinen Ausweg hat, nur der wird dankbar sein, für die paar Dinge, die man doch zugesteht.
Wie gesagt: das ist keine offener Hass.
Es ist unbewusstes Hinarbeiten auf Zustände, 'wie die Dinge sein sollten'. Es ist strukturelle Behindertenfeindlichkeit. (75/)
Und hier unterbreche ich mal wieder. Weiter geht es später oder morgen. (76/)
(Danke fürs Mitlesen, übrigens.)
Eventuell wäre das hier auch was fürs #twitterlehrerzimmer
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