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Weil alle heute nach #Cottbus schauen, und danach, was #Höcke und seine Kameraden da treiben, mal ein paar Zeilen zu dieser Stadt. Thread 👇
Seit Anfang der 1990er Jahre ist Cottbus eine Hochburg der Rechten und rechter Gewalt. Die Nazipartei „Deutsche Alternative“ hatte in Cottbus Anfang der 90er Jahre eine ihrer mitgliederstärksten Sektionen.
1992 versuchte ein gut organisierter Nazimob das Cottbusser Flüchtlingsheim niederzubrennen. Jedes Jahr gab und gibt es dutzende von rechten Straftaten, einmal sogar mit Todesopfer.
Über #Cottbus und seine Geschichte kann man viel lernen anhand des Wortes No-Go-Area. Das erste Mal, dass dort über No-Go-Areas gesprochen wurde, das war im Jahr 2006. Damals, im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft hatte es sich der ehemalige Regierungssprecher Uwe-Karsten Heye
erlaubt, andersfarbige WM-Gäste vor Besuchen in bestimmten Gegenden Brandenburgs zu warnen, als er sagte: „Es gibt Städte in Brandenburg und anderswo, wo ich keinem, der eine andere Hautfarbe hat, raten würde, hinzugehen. Er würde sie möglicherweise lebend nicht mehr verlassen.“
Von einer „Verunglimpfung ganzer Regionen“ sprach damals Brandenburgs Ministerpräsident M. Platzeck (SPD), CDU-Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) regte sich über diese „unglaubliche Entgleisung“ auf und Brandenburgs CDU-Generalsekretär Sven Petke forderte gar eine Entschuldigung.
Interessant ist, dass die Diskussion damals vom Tisch warobwohl Platzeck später in dieser Frage nochmals deutlich umschwenkte. Der Witz ist: dass das Wort No-Go-Area voriges Jahr in dieser Stadt nochmals auftauchte. Cottbus drohen No-Go-Areas. Durch Geflüchtete.
Das waren nicht Höcke und Co, die das sagten, sondern der Cottbusser Oberbürgermeister. Holger Kelch. So heißt er, der Cottbusser Oberbürgermeister, der Mitglied der @CDU ist.
50 Jahre alt ist er. Sein ganzes politisches Leben - fast 20 Jahre - hat er in Cottbus verbracht. Holger Kelch ist mittlerweile eine lokale politische Größe, kennt Höhen und Tiefen der Politik, und man würde meinen, auch jede Ecke und die Geschichte seiner Stadt.
Seitdem dieser Bürgermeister voriges Jahr über drohende No-Go-Areas gesprochen hat, muss ich immer an jene Freunde aus dieser Stadt denken, die dort seit den 90er Jahren als „Zecken“ firmierten: Punks, Hip-Hopper und Antifas. Niemand von ihnen hat jemals das Wort No-Go-Area
je erwähnt. Aber hätte man ihre Bewegungen, ihre Warnungen vor gefährlichen Orten und ihre Erfahrungen auf einem Cottbuser Stadtplan aufgezeichnet, man hätte so etwas wie einen Stadtplan der No-Go-Areas erhalten.
Diese Zecken-Freunde wussten, welchen Ort, welchen Badesee, welche Disko, welche Plattenbausiedlung, welche Bar, welche Straße, welchen Park, welche Tankstelle, welchen Jugendklub sie zu meiden hatten oder wenigstens zu welcher Uhrzeit. Sie wussten es nicht nur, sie taten es auch
nicht etwa, weil sie ängstlich oder überempfindlich waren. Sondern weil es eine ganz reale Gefahr gab, die fast tagtäglich bestätigt und aktualisiert wurde: Angriffe auf Migranten und Linke; Überfälle auf deren Treffpunkte;
mit Baseballschlägern bewaffnete Nazigangs, die in Schulen eindrangen, um „Zecken“ zu suchen; Hausbesuch abstattende Nazis. Und und und...
Die wahren No-Go-Areas existieren in den Köpfen der bedrohten Menschen. Es sind ganz besondere Stadtpläne.
Es sind Navigationssysteme, gefüllt mit Informationen aus Orten, Zeiten, Jahreszeiten, Erfahrungen, Blicken und vielem mehr. Derjenige, der Angst hat, verfügt über ein solches No-Go-Navi und es bestimmt jeden seiner Schritte, sobald er das Haus verlassen hat.
Wenn schon meine „Zecken“-Freunde von damals wussten, welchen Ort und wann sie ihn zu meiden haben, dann galt und gilt das für Menschen mit einem „fremden“ Aussehen erst recht. In ihrer „Haut“, so grausam es klingt, hätte ich in Cottbus kein einziges Mal stecken wollen.
Und das ist die Moral an dieser Geschicht: Dass das Wort No-Go-Area in dieser Gegend erst akzeptiert wurde, als es um Geflüchtete ging, sagt mehr über diese Gegend und insbesondere die so genannte bürgerliche Mitte als ihr lieb sein kann. Es geht um ein Versagen eben dieser.
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