Vor rd. zwei Wochen haben Manuel Mackasare & ich in e. Kölner Antiquariat gut 750 Euro für e. Band m. 44 juristischen Seminararbeiten d. Jahre 1919-1921 ausgegeben, der lange z. Verkauf stand. Thread z. #Antisemitismus, #Holocaust & Germanistik @Germanistik_RUB @ruhrunibochum /1 
Die Seminararbeiten entstammen d. Jura-Studium v. Hans #Wollstein, das er @UniBonn & @uniGoettingen absolvierte. Aufmerksam geworden sind wir auf Wollstein 2018 durch Zufall. Für ein Projekt zum germanistischen Denken & seiner Prägung in der #Schule hatte Manuel Mackasare /2
Abituraufsätze aus dem Archiv eines #Gymnasiums in Langenberg gezogen. Wir wählten nach dem Zufallsprinzip einen positiv benoteten Aufsatz des Jahrgangs #1913 aus. Es war der von Hans Wollstein, der uns noch völlig unbekannt war. Die Analyse des Aufsatzes mit Rückbezug auf /3
Lehrmaterial der Zeit ist 2019 in der Zeitschrift #WirkendesWort erschienen. Ich komme darauf zurück. Nachdem wir den Abituraufsatz analysiert hatten, gaben wir gewohnheitsmäßig Wollsteins Namen in eine Suchmaschine ein & stellten fest, dass es Informationen zu ihm gab. /4
Außerdem stießen wir auf historische Forschungsbeiträge v. Joachim Rott (Bonn) & Willi Creutzenberg (Herdecke). Wollstein wurde 1895 in Elberfeld (heute Wuppertal) als Sohn des Bankdirektors Adolf Wollstein & seiner Frau Paula geboren. Die Eltern traten 1897 aus dem Judentum /5
aus. (Vgl. "Das Schicksal der im Landgerichtsbezirk Bonn zugelassenen jüdischen Rechtsanwälte während der Zeit des Nationalsozialismus." Bonn 1992, 22ff.). Wollstein wurde evangelisch-lutherisch getauft, machte 1913 d. Abitur, diente im Ersten Weltkrieg, studierte (woher die /6
erworbenen Seminararbeiten stammen) und galt als d. "brillanteste Kopf unter den in den dreißiger Jahren in Bonn tätigen jüngeren Anwälten." (Ebd.) Der Lebenslauf in seiner Doktorarbeit von 1921 betont seine Zugehörigkeit zum Christentum schon im zweiten Satz. /7
Wollstein war kulturell u. a. im Bonner Gesangverein hoch aktiv, zitierte gerne Goethe & versah Rechtsangelegenheiten der ev. Kirchengemeinde, der er angehörte. Nach der Machtübernahme des #Nationalsozialismus wurde dies zunehmend schwierig & schließlich unmöglich. 1938 verlor /8
Wollstein die Anwaltszulassung. Sein Haus in der Gluckstraße 12 wurde 1939 zum "Judenhaus". Der jüdische Mathematiker Felix #Hausdorff, Mitbegründer der allgemeinen Topologie, richtete im Januar 1942 seinen Abschiedsbrief dorthin & an Wollstein, bevor er mit seiner Frau & /9
ihrer Schwester Suizid beging de.wikipedia.org/wiki/Felix_Hau…. Wollstein selbst wurde im Juli 1942 nach #Theresienstadt und 1944 nach #Auschwitz deportiert & dort wohl ermordet. gedenkbuch-wuppertal.de/de/person/woll… /10
Die erworbenen Seminararbeiten, obwohl rechtswissenschaftlich, sind für eine wissenschafts- & schulgeschichtlich orientierte #Germanistik u. a. rhetorisch interessant. Sie sind aber auch Spuren e. zerstörten Lebens. Wollsteins #Abituraufsatz aus dem /11
#Kaiserreich des Jahres 1913 behandelt Gotthold Ephraim #Lessings #Toleranz-Drama "#Nathan der Weise". Aufgabe war: "Die Vertreter welcher Religionen treten im 'Nathan' auf, und was lehrt jede Religion über die Duldsamkeit?" Wollstein bearbeitet dies mustergültig nach den /12
rhetorischen Regeln der damaligen Aufsatzlehre. Der komplette Text ist in unserem Beitrag in #WirkendesWort abgedruckt. Viel Raum für Subjektivität war dabei nicht, aber klar wird, dass Wollstein hier wohl sein Selbstverständnis als weltlicher o. christlicher Primaner zeigte. /13
Kritisiert wird unter anderem d. "Eigendünkel" d. Judentums, gelobt Nathan, d. "erhaben über jedem Glaubenshaß" stehe. Diese "Gesinnung" wird als #Lessings eigene ausgewiesen. Außerdem zeige die Figur Nathan Züge v. "Lessings Freund #Moses #Mendelsohn". Es ist schwer, all das /14
in Kenntnis v. Wollsteins weiterem Leben zu kommentieren. Sicher ist, dass es zeigt, dass Menschen ihr Schicksal nicht selbst definieren, wenn Gesellschaften & Staaten beschließen, es zu definieren, & dass Wollstein nicht zugebilligt wurde, zu entscheiden, wer er war. /15
Als #Jude durfte Wollstein nicht existieren. Aber auch keine Assimilation, keine Taufe, nicht Lessing, Goethe oder deutsches Liedgut, kein Kriegsdienst & keine Anwaltszulassung hoben die Verfügungsmacht des #nationalsozialistischen Staates & seiner Täter am Ende auf. //
