Thread by @_donalphonso

Ich habe in den letzten Wochen - eigentlich der erste richtige Urlaub seit 3 Jahren - viel über das Geschehene nachgedacht und denke, ich werde meine Bindungen an Deutschland lockerer gestalten.

Nationen sind in meinen Augen auch nur die besten aller schlechten Lösungen, und Deutschland gab lange Zeit viel Anlass, um mit dem antiliberalen, verbohrten Volk und autoritären Staat zu fremdeln. Seit meiner Jugend hat sich aber sehr viel verbessert.

Inzwischen staune ich, was aus vielen wurde, die früher zurecht gegen den unerquicklichen Zustand aufgestanden sind. Kampf für sexuelle Freizügigkeit, Bürgerbeteiligung, direkte Demokratie, individuelle Freiheit - das zählt nicht mehr, seitdem diese Leute etwas zu sagen haben.

Meine Bekannten sagen, vieles erinnere sie an die DDR, mich dagegen erinnert vieles an die bayerische Provinz der 80er. Die Art, wie ich gewisse Gruppen und Ideologien Kritik und Zweifel verbitten, und dem Individuum einreden, es dürfe sich nicht jenseits des Kollektivs stellen.

Ich kam in meiner Schulzeit damit klar, dass ich zu "den anderen" gehörte, ich habe jetzt auch kein Problem damit. Die bornierte CSU wollte damals nur, dass man sich formal anpasste. Momentan git es aber einfach zu viele Totalitäre hierzulande, denen das nicht reicht.

Mein Eindruck ist, dass trozt des unguten Ausgangs die Migrationskrise und ihre Behandlung die Blaupause für alle weiteren Debatten ist. Miete. Klima. Islam. Rechtsstaatlichkeit. Redefreiheit. Gewaltentrennung. Eigentum. Selbstbestimmung. Der neue deutsche Moralnationalismus.

Ich sehe das alles, es gefällt mir nicht, und trotzdem habe ich mich aufgrund der guten Erfahrungen fest auf Deutschland eingelassen. Fast alles ist hier. Ich kann auch nicht ganz weg. Aber ganz hier bleiben erscheint mir angesichts der herrschenden Kasten als - riskant.

Es gibt tatsächlich ein warmes, intelligentes und fähiges Deutschland, das man loben kann. Das gelobte Deutschland mit seinen Sekundärtugenden. Aber Geschichte und Freiheit sind nie linear, und das Gute kann man immer noch loben, wenn man nicht mehr ganz darin ist.

Denn eigentlich bin ich faul, unengagiert und ein Profiteur derjenigen, die wirklich arbeiten. Daher gehören meine Sympathien auch eher den Sexarbeiterinnen und Strassenbauern, den Hiltischwingern und Landfrauen. Denen, die in den Debatten nicht existieren. Was sehr schade ist.

Ich sage denen, die sich an den Rand gedrückt fühlen, immer: Macht den Mund auf. Und passt auf Euch auf. Ersteres tue ich auch, Zweiteres habe ich vernachlässigt. Es wird Zeit, das vor zu ändern, bevor die Moralreichsfluchtsteuer kommt. Denn für einen wie mich wird sie kommen.

Ich passe in zu viele Negativkriterien. Ich habe zu viel, was sie gern hätten. Ich habe auf ihre Altäre gespuckt.

Und das kann man später im Notfall auch über Grenzen anderer und freundlicherer Staaten hinweg tun.

Und wenn es spruchreif ist - dann wird das auch eine gute Geschichte. Das Leben war gut zu mir, und es wird auch so bleiben.