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Wiederholung (tippfehlerbereinigt): Die Firma #Rundum[1] in #Kassel lässt Arbeiterinnen 24-Stunden-Dienste absolvieren. Dem WRKSHP liegen Informationen über eine Anzeige beim zuständigen Regierungspräsidium (RP) vor. Solche Arbeitszeiten stellen laut Arbeitszeitgesetz zwar
"nur" eine Ordnungswidrigkeit dar[2], haben aber für die Einzelne erhebliche gesundheitliche und soziale Auswirkungen. Wie vermutet werden darf, waren solche Dienste jahrelang, wenn nicht jahrzehntelang usus bei der Rundum gGmbH. Dass die Geschäftsleitung
von Rundum mit dem Dezernat Arbeitsschutz und Sicherheitstechnik des RP nun wahrscheinlich Ärger bekommt und weiterhin versuchen wird, solche Arbeitszeiten durchzusetzen, darf ebenfalls vermutet werden. Das wäre dann gesetzeswidrig. Rundum
ist eine Tochter des Sozialen Friedensdienstes (#SFD) und "verkauft", von Kostenträgern finanziert, persönliche Assistenz für behinderte Menschen. Die langen Arbeitsschichten ergeben sich allein nicht aus dem Bedürfnis der Assistenznehmer (Kunden) nach
kontunuierlicher personeller Präsenz. Sie sind Ergebnis der "Kostenersparnis". Wenn wenige sozialversicherungspflichtige Angestellte die Arbeitszeiten abdecken, lassen sich Löhne sparen. Wie uns zugetragen wurde, sollen solche Dienste über einen
Tag und eine Nacht und sogar 48-Stunden-Schichten bei Assistenz-Berieben in Nordhessen nicht unüblich gewesen oder zum Teil immer noch verbreitet sein. "Problem" ist, dass die Zusammensetzung der Teams, die für jeden Assistenznehmer zusammengestellt
werden, nicht mehr ausschließlich aus dem studentischen oder Gelegenheitsarbeiter-Bereich stammt. Einige sind seit Jahren fest dabei und bemerken zunehmend die Belastungen und Defizite nach und vor solchen Schichten. Jüngere Arbeiter oder die mit
persönlich starker Bindung an den Kunden aber wollen sich ihre Lebenszeit-Arbeitszeit anders und zwar in Blöcke einteilen, weil sie noch Karriere- oder andere Lebenspläne haben. Oder weil sie eine "Balance" aus Arbeit und Freizeit anstreben. Eine Illusion, die für
politischen Streit in der Organisierung dieser Lohnarbeit und ihrer Flexibilisierung sorgen dürfte. Auch aus Arbeitsverhältnissen im so genannten "privaten Budget" sind 24-Stunden-Dienste bekannt. Hier greift kein Betriebsverfassungsgesetz, weil kein Gremium oder nur
die Haltung der "Arbeitgeberin" maßgebend über Arbeitszeiten entscheidet.[3] Während also die 4-Stunden-Liga existenzialistisch von vier Stunden Lohnarbeit am Tag träumt - zu recht - und "DGBisiert"[4], weil sie den Gewerkschaftsbund von der
allgemeinen drastischen Arbeitszeitverkürzung überzeugen möchte, sind die Kontrollinstanzen über lange Perioden gar nicht in der Lage, zu handeln. Laut unseren Informationen benötigte das Regierungspräsidium vier Monate, um auf die Anzeige
von Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz bei der gGmbH "Rundum" zu reagieren. Die Gewerkschaft Verdi ist an dem Thema dran. Auch im "Forum Assistenz", in dem sich Assistenzarbeiter organisiert haben, wird diskutiert. Ob es polit-ökonomisch ein Zeichen ist, sich
an die Aufsichtsbehörde wenden zu müssen, um etwas gegen Ausbeutung[5] in Gang zu bringen, mag fraglich sein. Der Assistenzjob ist für "Ungelernte" eine gewisse Alternative, seine Mankos sind unterbelichtet.
[1] Wir berichteten bereits über Auseinandersetzungen in diesem Betrieb: .
[2] Siehe Arbeitszeitgesetz (ArbZG) § 3 Arbeitszeit der Arbeitnehmer (gesetze-im-internet.de/arbzg/__3.html) und § 5 Ruhezeit (gesetze-im-internet.de/arbzg/__5.html), sowie Straf- und Bußgeldvorschriften (gesetze-im-internet.de/arbzg/BJNR1171…). Die Bußgelder können pro gemeldetem Einzelfall hoch sein
und bei mehreren gemeldeten Betroffenen im fünfstelligen Bereich liegen.
[3] Die Webseite assistenz.org suggeriert, dass "Assistentinnen (...) heute meist nach dem 'Arbeitgebermodell' von Behinderten selbst mit Arbeitsvertrag angestellt" würden. Der Arbeitsmarkt in Kassel legt ein anderes Bild nahe. Es sind die größeren
Betriebe, die Assistenz seriös und kontrolliert anbieten können - natürlich im Rahmen ihrer gemeinnützigen Gewinnspannen. Doch assistenz . org hält auch auch klare Ansagen zum Job mit Überarbeit bereit: "Neben 'normalen' Arbeitnehmerinnen können auch Personen,
die auf dem erstem Arbeitsmarkt wenig Chancen haben, einen vollwertigen Arbeitsplatz erhalten. Weil Pflege auch abends, nachts und am Wochenende nötig ist, ist dieser Job für Studierende und andere in einer Aus- oder
Weiterbildung befindliche Personen interessant. Ein zeitlich flexibler Arbeitseinsatz ermöglicht beispielsweise auch Alleinerziehenden eine Berufstätigkeit." Auch die Interessenvertretung Selbstbestimmt Leben in Deutschland e.V. (ISL), mit Vereinssitz in Kassel, spricht
viel vom Arbeitgebermodell genannt "Persönliches Budget". Zur Verlinkung: Die Vorsitzende Sigrid Arnade, bis Januar 2020 Geschäftsführerin des ISL, ist Mitglied des Frauenrats der Heinrich-Böll-Stiftung. Dabei sagt der DGB 2018 in der Auseinandersetzung um die anstehende
Beendigung des Assistenzbetriebs LiSA (siehe [4]), dass es sich bei der persönlichen Assistenz "um durchaus anspruchsvolle Beziehungsarbeit" handelt, "obwohl die Beschäftigten keine formalen Voraussetzungen mitbringen müssen, und es sich damit nach der
Projektdefinition um 'einfache Arbeit' handelt." (dgb-bildungswerk-hessen.de/cms/upload/Pro…). Eine Feststellung, welche zum Besipiel die UAPA (Unabhängige Arbeitnehmer_innenvertretung in der persönlichen Assistenz) seit geraumer Zeit für die professionelle
Care-Arbeit, für Lohnarbeit also, immer wieder diskutiert.
[4] Akteure der 4-Stunden-Liga engagierten sich zum Teil aus einem Arbeitskampf in einem ähnlichen Assistenzbetrieb heraus (der inzwischen längst abgewickelten Lichtenau-Service-Agentur GmbH, LiSA,
des Lichtenau e.V.). Die Liga, eher anarcho-syndikalistisch aufgestellt, expandiert nun: taz . de / Treffen-der-4-Stunden-Liga / !5658831.
[5] Ausbeutung ist messbar. Assistenzfirmen sind zwar keine kapitalproduktiven Betriebe, die Mehrwert und Profit generieren, weil sie aus Abgaben finanziert werden und damit aus Löhnen bzw. Teilen, die vom Profit aus kapital-produktiven (Mehrwert herstellenden)
Betrieben für Soziales abgehen - als verschobenes Teil-Kapital. Sie sammeln aber über das Geschäft mit angebotenen Dienstleistungen dorthin verschobenes Teil-Kapital. Die Arbeiterinnen in den Assistenzfirmen, die die
Dienste durchführen, erhalten von diesem Teil-Kapital nur den Anteil, der ihnen zur Reproduktion ihrer Arbeitskraft zugebilligt wird. Das Verwaltungspersonal in den Assistenzfirmen, die Dienste verwalten, Gelder praktisch budgetieren usw., erhält einen ebensolchen Anteil,
allerdings bemessen an ihrer teureren Ausbildung. Die Geschäftsleitung erhält in der Regel einen Anteil an diesem Teil-Kapital aus den produktiven Branchen für keinerlei reale Dienste oder bloß repräsentative "Arbeit".
Assistenzfirmen sind kein kommerzielles Kapital, sie sind wenn man so will sozial eingesetztes, oder kapitalistisch gedacht parasitäres Kapital, ohne weiteres Kapital akumulieren zu können, zum Zweck sozialer Aufgaben.
Der Ausbeutungsgrad der eigentlichen Assistenzdienstleisterinnen in den Assistenzfirmen kann darum nicht nach dem Prinzip der Mehrarbeit von Mehrwertproduzierenden gemessen werden (etwa: die unbezahlte Mehrarbeit in ihrer Länge und die Lohnhöhe im Verhältnis zur
notwendigen Arbeit, die rechnerisch das vorgeschossene Kapital reproduziert, im Verhältnis zum Profit), sondern nur orientiert an Tarifen aus ähnlichen Branchen der sozialen, pflegerischen oder medizinischen Versorgung (vgl. hier: Ausbeutungsrate marx-forum.de/marx-lexikon/l…).
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