, 27 tweets, 6 min read Read on Twitter
Aktuell versucht in #Venezuela eine Clique um #Guaido den gewaltsamen Umsturz. Gestützt wird er von einer Allianz aus den USA, Merkel-Deutschland, Frankreich, Brasilien. Bereits das macht Guaido verdächtig? Ja. In der 89. @SiNetz habe ich ausführlich dazu geschrieben. #Thread:
Klischee-Konservative meinen aktuell, »die Linken« hätten ein prosperierendes Idyll erdölbasierter liberaler Demokratie in finstere sozialistische Tyrannei gestürzt, wovon das venezolanische Volk nur durch Rettung von Außen – Donald Trump ante portas? – befreit werden könne.
Doch zeigt das Exempel Venezuela, dass liberales Treiben erst jene »linken« Zustände hervorruft, die man sodann ausgerechnet mit liberaler Medizin kurieren möchte: ein Teufelskreis, der wiederkehrend, und zwar auf lateinamerikanischer wie globaler Ebene, zu diagnostizieren ist.
Der venezolanische Fall zeigt, was passiert, wenn ein Staat an seinem apodiktischen Extraktivismus in Form einer »monokulturellen Erdölwirtschaft« (Stefan #Peters) scheitert. Das Land verfügt über die größten Ölreserven weltweit. Seit 100 Jahren ist das ein Verhängnis.
Die 1914 einsetzende und bis heute bestehende Ausrichtung der Wirtschaft auf den totalen Rohstoffexport wurde in den 1930ern zementiert. Ende der 1950er wurde dann der Grundstein für die 50-50-Ausbeutung des Ölreichtums gelegt: Sozial- & Christdemokraten teilten den Kuchen auf.
Als verheerend erwies sich, dass Venezuela es verpasste, dem Extraktivismus eine »europäische« Note beizugesellen. Während in Norwegen z. B. ein Investmentfonds gegründet wurde, der heute eine Billion Dollar umfasst, wurde ein Fonds in Caracas eingerichtet, aber nie gefüllt:
Die liberalen Eliten verprassten das durch den Rohölexport gewonnene Kapital ohne Bildung von Rücklagen und investierten in Privatbesitz in südlichen US-Bundesstaaten. Es war dies der liberale Sündenfall des Rentierstaates Venezuela.
Jede Interessensgruppe bediente und versorgte seine eigene Klientel – und bis 1978 gedieh dieses Modell überwiegend störungsfrei. Dann stürzte das Land aus verschiedenen Gründen von Krise zu Krise & erlebte bis 1998 eine dauerhafte Rezession. So kam es bspw zum Aufstand von 1992.
1992 kulminierte nämlich eine neuerliche Protestwelle in einem (dilettantischen) Putschversuch. Einer der Militärs war der Oberstleutnant Hugo #Chávez. Während Mitstreiter flüchteten, stellte sich Chávez: Als einer, der Verantwortung übernahm, wurde er landesweit populär.
Nach seiner Haftentlassung kandidierte er 1998 mit der Bewegung Fünfte Republik zur Wahl. Seine Ziele waren das Ende der Proporzaufteilung des Reichtums sowie der Untergang der IV. Republik samt US-Hinterhofpolitik. Ziel: Politik für eine Bevölkerungsmehrheit, nicht für Reiche.
Zwischen Wahlsieg & 2006 sank die Armut (Angaben der UN) von 50 auf 30 und die Arbeitslosigkeit von 17 auf 12 %, die Lebenserwartung stieg, Analphabetismus wurde erfolgreich bekämpft, die Gesundheitsversorgung wurde Stück für Stück modernisiert und allen Bürgern zugänglich.
Dabei übernahm der »Caudillo« einen aufgrund neoliberaler Maßnahmen ausgebluteten Staat ohne effektive Sozialstruktur. Zudem stagnierte der Ölpreis auf niedrigem Niveau.
2002 überlebte Chávez einen Putsch unzufriedener Militärs, die via CNN ihre Ziele verkündeten.
Der Umsturzversuch, von der Regierung George W. Bushs unterstützt, misslang, verhärtete aber den Charakter der Führungsclique – Simon Bolívars »Wir oder die« wurde zum Mantra, Opposition zunehmend autoritär bekämpft. Innen- und wirtschaftspolitisch beging man drastische Fehler.
2007 schritt man indes zur Enteignung verschiedener US-Konzerne. Der erzielte Ertrag wurde jedoch nicht für Investitionen oder Rücklagen verwendet, und ebensowenig wurden neue Zweige der Produktion erschlossen: 95 Prozent der Exporterlöse wurden weiter aus Erdöl erzielt.
Als der Ölpreis dann weiter fiel, war das konsumistische Modell nicht mehr durchzuhalten; die Krise nahm wieder an Fahrt auf. 2013 starb Chávez und wurde durch den Nicht-Militär Nicolás #Maduro ersetzt. Unter Maduro eskalierte die bereits unter Chávez angelegte Korruption.
Die vereinigte Linke war zur Selbstbereicherung übergegangen, die für die vereinigten Liberalen vorher so kennzeichnend war. Erschwerend zudem, dass die Export-Einnahmen in die Schuldentilgung gesteckt werden mussten – bis zu 45 % Zinsen wurden von Goldman Sachs usw. abgerufen.
Und: Ende 2018 verweigerte die Bank of England die Rückgabe des venezolanischen Goldes. 14 Tonnen gingen der Staatskasse in Caracas !verloren – die letzte große Devisenoption für den Einkauf von Nahrung und Medikamenten ist (alles andere ist durch Sanktionen unmöglich geworden!).
Am 1.1.19 übernahm Venezuela den OPEC-Vorsitz. Maduro kündigte an, bei Rechnungslegungen vom US-Dollar auf andere Währungen umzusteigen. Nachdem Russland 2018 begonnen hatte, 1 Billion Dollar in Yuan, Yen & Euro umzutauschen, verhieß dieser Schritt für die USA neue Probleme.
Passend für den Westen: 3 Wochen später erklärte sich der 35jährige Liberale Juan Guaidó zum Interimspräsidenten. Was Merkel & Beatrix von Storch nicht begreifen: Die Opposition ist nicht nur zerstritten, sondern wird einzig durch den Willen vereint, zu Futtertrögen zu gelangen.
Dieses gegenständliche Interesse & die offenkundige Lenkung Guaidós aus dem Ausland dürfte Ursache dafür sein, dass trotz der in jeder (sozialen, ökonomischen, politischen usf.) Hinsicht eklatanten Mängel des Maduro-Regimes ein friedlicher Regierungswechsel nicht in Sicht war.
Also: Aus souveränistischer Perspektive ist der jetzige Eingriff des Westens in die inneren Angelegenheiten Venezuelas zu verurteilen. Doch darf dies nicht mit einem Blankoscheck für die Maduro-Regierung verwechselt werden. Sie trägt große Schuld an den Verhältnissen.
Bitter für Venezuela: Es ist zu befürchten, dass die neoliberale Oppositionspartei Voluntad Popular weiter Einfluss gewinnt. Das bedeutet, dass jener liberale Ungeist von linker Stümperei profitiert, der ebendiese Verfallsgeschichte erst ermöglichte. Fällt Maduro, kommt Guaidó.
Jahrzehnte liberaler Misswirtschaft scheinen nach dem Scheitern des (Post-)#Chavismus vergessen; die liberalen Klientelpolitiker bekämen ihre nächste Chance & es ist anzunehmen, dass nach neoliber. Schocktherapien wiederum linke Strömungen an Bedeutung gewönnen. = Teufelskreis.
In diesem Fall ist jede Seite die falsche. Es geht darum, wer in Zukunft den Zugang zu den Reichtümern des Bodens hat. Interessenpolitik, Machtpolitik, Geopolitik. – Untertäniges Verhalten gegenüber westlichen Interventionisten aus antilinker Tradition heraus verbieten sich hier.
So, das soll's gewesen sein. Einige Seiten zu diesen Fragen habe ich, siehe oben, in der 89. #Sezession niedergeschrieben. Dort auch Quellen, Zitate und eine historische Herleitung samt geopolitischem Ausblick. Lesenswert online zudem: podcast.jungeuropa.de/solidaritaet-m…
Ergänzung: Unbedingt Armin Mohler lesen. Sein »Gegen die Liberalen« ist heute wichtiger denn je. Mohler verwies darauf, dass Rechte, die sich primär als Linkenfresser vertun, letztlich harmlose, ja apolitische Menschen seien. Warum? Hier wird's erklärt: antaios.de/gesamtverzeich…
Ergänzung 2: Die Völker Syriens, des Irak oder Libyens wissen, was derlei Freiheitsphrasen bedeuten: Krieg.
Missing some Tweet in this thread?
You can try to force a refresh.

Like this thread? Get email updates or save it to PDF!

Subscribe to Benedikt Kaiser
Profile picture

Get real-time email alerts when new unrolls are available from this author!

This content may be removed anytime!

Twitter may remove this content at anytime, convert it as a PDF, save and print for later use!

Try unrolling a thread yourself!

how to unroll video

1) Follow Thread Reader App on Twitter so you can easily mention us!

2) Go to a Twitter thread (series of Tweets by the same owner) and mention us with a keyword "unroll" @threadreaderapp unroll

You can practice here first or read more on our help page!

Follow Us on Twitter!

Did Thread Reader help you today?

Support us! We are indie developers!


This site is made by just three indie developers on a laptop doing marketing, support and development! Read more about the story.

Become a Premium Member ($3.00/month or $30.00/year) and get exclusive features!

Become Premium

Too expensive? Make a small donation by buying us coffee ($5) or help with server cost ($10)

Donate via Paypal Become our Patreon

Thank you for your support!