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In einer Welt, deren Zukunft durch die Klimakrise ungewiss erscheint, erhöht sich der Druck auf jede*n, Zukunft positiv mitzugestalten. Als kontrovers diskutiertes Angebot hierfür hat sich Konsumkritik hervorgetan, die in diesem Thread generell kritisch eingeordnet werden soll.
Die Kernthemen dieses Threads werden der Klassencharakter des Konsums, Annahmen von Konsumkritiker*innen über kapitalistische Ökonomie sowie ihr Verhältnis zu ebenjener sein.
Zunächst einmal ein paar allgemeine Anmerkungen über Konsum: Seit dem Ende der Subsistenzwirtschaft besteht dieser nicht mehr darin, sich nicht mehr von dem eigens erwirtschafteten zu nehmen, was man braucht, sondern das zu kaufen, was man bezahlen kann.
Warum kauft man? Um die eigenen Bedürfnisse zu befriedigen. Und diese bestimmen selbstverständlich auch was man kauft. An dieser Stelle die These: Was man bedarf und wie man diesen Bedarf befriedigt ist notwendigerweise von Klasse abhängig.
Der Bedarf & Konsum von Lohnabhängigen ist z.B. massgeblich davon bestimmt ihre Lohnarbeitskraft durch Ernährung, Bekleidung, Bildung, Wohnen, Kindererziehung, Freizeit etc. zu reproduzieren.
Kapitalist*innen müssen banalerweise natürlich auch Dinge tun wie z.B. zu essen, wenn man Sphären wie Freizeit & Wohnen betrachtet ist der Bedarf aber notwendigerweise ein anderer.
Dies ist konkret beispielsweise abhängig davon, ob man Montagsmorgens ausgeglichen auf der Arbeit sein muss, um das Ausbeutungsvershältnis auszuhalten oder ob man den Drang hat sich im Status & Ansehen von den Nachbar*innen abzuheben.
Dass die Auswirkung aufs Klima eine andere ist, ob ich mit Freund*innen in Kino oder Bars gehe um anschliessend in meine Wohnung im Mehrfamilienhaus zurückzukehren im Gegenzug zur Erweiterung des Hauses um einen Wintergarten sollte dabei trivial sein.
Umweltschädliches Verhalten korreliert also wenig überraschend klar mit dem Einkommen.
dw.com/de/wer-mehr-ge…
Um auf Konsum als Reproduktion zurückzukommen, bekommt die Notwendigkeit von Konsum auch einen ganz anderen Charakter abhängig von Klassenzugehörigkeit.
In entfremdeten Verhältnissen ist Konsum nämlich auch Kompensation. Er bietet kurzfristige Sinnstiftung und ermöglicht Beteiligung an den Glücksversprechen der Gesellschaft.
Angesichts fehlender Möglichkeiten von zahlreichen abhängig Beschäftigten, ihre Arbeit sinnstiftend und selbstbestimmt zu gestalten, bietet Konsum eine vorübergehende Flucht aus der Fremdbestimmung:
Als Ventil gegenüber Druck, Frust oder Erschöpfung in der Erwerbsarbeit, als Ablenkung von perspektivloser Erwerbslosigkeit, als kurzzeitiger Ausstieg aus Stress, Isolation oder Langeweile in der häuslichen Reproduktionsarbeit.
Doch nicht alle Arbeit im Kapitalismus ist schlecht bezahlt, sterbenslangweilig oder wenig anerkannt. Ein erfülltes und selbst bestimmtes Leben braucht weniger über Konsumgüter vermittelte Erfüllung und über Statussymbole vermittelte Anerkennung.
Deshalb wird Konsum als Kompensation zur Klassenfrage.
Um diesen Abschnitt zusammenzufassen: Wer Notwendigkeit & Möglichkeit von kritischem Konsum unabhängig von Klassenzugehörigkeit betrachtet, betreibt Klassenkampf von Oben.
Kommen wir nun zu den Punkten, an denen kritischer Konsum laut seiner Theoretis ansetzen soll.
Ob Meinhard Miegel davon spricht "Eigentlicher, menschenspezifischer Wohlstand – das ist bewusst zu leben, die Sinne zu nutzen, Zeit für sich und andere zu haben, für Kinder, Familienangehörige, Freunde […], das ist Freude an der Natur, der Kunst, dem Schönen, dem Lernen.",
Niko Paech behauptet "Wir sind abhängig vom Konsum. Wir sind Junkies. Und Junkies tun nichts gegen den Dealer." oder Harald Welzer sich über das Bedürfnis nach dem "noch flacheren Fernseher" beschwert. Sie alle werden durch 2 Punkte motiviert:
1. Es wird kritisiert, dass Konsum nicht glücklich macht, was sich dann sowohl gegen den Konsumfokus der Käufer*innen als auch gegen die Vermarktungsstrategien der Produzent*innen richtet.
2. Die bewusster Konsum soll als Waffe gegen in irgendeiner Art als negativ, also klimafeindlich, besonders ausbeuterisch etc. gewertete Produktion fungieren.
Wenn man Grundsätze kapitalistischer Ökonomie nicht infrage stellt und aber Überlegungen anstellt, warum nicht alle Menschen schon brav kritisch konsumieren, liegen Erklärungen wie in 1. auch sehr nahe.
Anstatt der Systemkritik als Ganzem werden anteile von ihr als verdorben charakterisiert. Es ist dabei nicht zufällig so, dass das Bild einer den Menschen verderbenden Werbung gezeichnet wird.
Wer das Arbeits- und Warenverhältnis verdinglicht, was Konsumkritiker*innen ja zweifelsohne tun, der sieht Probleme für gewöhnlich in den abstrakteren Erscheinungen des Kapitalismus, die in ihrer Logik den eigentlich "guten Menschen" verderben würden.
Sehr prägnantes Beispiel dafür z.B. der Song "Guten Tag" der Gruppe "Wir sind Helden", in der auch Kritik an Konsum geübt wird.
In ihm heisst es: "Ich tausch nicht mehr / Ich will mein Leben zurück" sowie "Meine Stimme gegen ein Mobiltelefon / Meine Fäuste gegen eure Nagelpflegelotion / Meine Zähne gegen die von Doktor Best und seinem Sohn / Meine Seele gegen eure sanfte Epilation"
Der Song will Kritik am Kapitalismus üben, verliert sich aber komplett darin, das "natürliche" gegen das "künstliche" aufzustellen.
Solche Prinzipien angewandt bestimmen die Praxis der Konsumkritikbewegung:
Anstatt sich von der Werbung US-amerikanischer Grosskonzerne verleiten zu lassen, konsumiert man kritisch im „Tante Emma Laden“ auf der eigenen Scholle. Die Kritik verbleibt an der Oberfläche.
Punkt 2 verkennt offensichtlich die Produktionsgesetze merhwertschaffender Produktion. Es ist ja in keinem Fall so, dass die Kaufentscheidung der Konsument*innen über die Produktion bestimmt, sondern die Produktion bestimmt, was konsumiert werden kann.
Dazu kleiner Marxexkurs & Rückbezug auf Klassenfrage: Wie setzt sich der Lohn der Arbeitenden zusammen? Aus dem Wert der Reproduktion der Arbeitskraft bestehend zunächst natürlich aus Lebensmitteln aber auch weiter gefasst aus Bildung, Freizeit etc.
Der Tauschwert einer Ware ergibt sich immer an der durchschnittlichen Arbeitszeit, die für die Herstellung eingesetzt wird, als untere Schranke gilt durch fortschrittlichste Produktionsmethode- + mittel erzielte minimale Arbeitskraft.
Setzt man Arbeits- und Warenwert gegenüber, wird einem bewusst, dass 2. als Idee nur aus einem privilegierten Verhältnis heraus entstehen kann. Nur wessen Arbeit ausreichend entlohnt wird, hat eine wirkliche "Wahl" im Supermarkt.
Denn: Da Arbeitslohn Spiegel der Produktionskosten ist, ist dieser vereinfacht gesagt abhängig von den Produkten, die im Supermarkt vor uns liegen, der Kausalzusammenhang ist genau umgedreht zur Wahrnehmung der Konsumkritiker*innen.
In der Warenproduktion wird der Wert der eingesetzten Arbeitskraft so niedrig wie möglich gehalten, was dann zu Kinderarbeit in der Kleidungsbranche, Pestizideinsatz bei Lebensmitteln, billigstem Sojagranulat aus Südamerika als Tierfutter etc. führt.
Und da genau diese Produkte selbstverständlich auch den Arbeitswert mitbestimmen, kann man sich erst ab einem überdurchschnittlichen Einkommen davon befreien, genau diese zu konsumieren und trotzdem die eigene Arbeitskraft reproduzieren.
Deshalb ist kritischer Konsum als sinnvolle Praxis in der auf Merhwertschaffung ausgerichteten Ökonomie zum Scheitern verurteilt.
Wie immer, an dieser Stelle kanns in Zukunft noch weitergehen, hier aber schonmal die bisherigen Quellen:
untergrund-blättle.ch/gesellschaft/k…
Um nochmal konkreter zu werden, was das angewandt heisst, besonders im Bezug auf die Klimakrise, hier eine Statistik über die Verteilung der weltweiten CO2-Emissionen:
ourworldindata.org/co2-and-other-…
Rund 70% der weltweiten Co2-Emissionen stammen aus Industrie & Energiesektor.
Einen Schritt weiter: 71% der Weltweiten Treibhausgasemissionen stammen von 100 fossile Brennstoffe produzierenden Unternehmen. theguardian.com/sustainable-bu…
71% der weltweiten Treibhausgasemissionen kommen also essentiell daher, dass fossile Brennstoffe immer noch billigste Energiequelle sind. Was kann man mit kritischem Konsum daran ändern? Richtig, nichts.
Die Ideen von Konsumkritiker*innen, z.B. einfach mal Urlaub auf Spiekeroog anstatt von Sardinien zu machen, um Co2 beim fliegen einzusparen, kann man letztendlich knicken, wenn man sich die Anteile von Flugreisen (und da ist sogar Warentransport eingerechnet) an Ausstoss anschaut
Die liegen nämlich bei mickrigen 2%:
atag.org/facts-figures.…
Dieser Unterschied in der Wahrnehmung von Ursache & Wirkung sowie Effekt von klimaschonenden Massnahmen.
Wer selbst von Kapitalismus profitiert, stellt seine Prinzipien nicht infrage, sondern vereinnahmt sie.
Ausserdem hat Konsumkritik noch eine weitere unschöne Facette: Sie ist nämlich klare Möglichkeit der Trennung von Status, wie sie im Teil über Klasse schon genannt wurde: Wer was auf sich hält, kauft im Biomarkt ein & legt sich Solarplatten aufs Dach.
Somit ist Konsumkritik nicht nur gesamtgesellschaftlich nutzlos, sie bildet auch kulturelles Kapital als Trennlinie von Status.
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