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Die CO2-Abgabe der Bundesregierung ist weniger ambitioniert als die Forderungen der US-Ölindustrie. Die lobbyiert für 36 Euro (40$). Die Bundesregierung beschließt: 35 Euro. Aber auch erst im Jahr 2026.
Hier ist das Papier der Bundesregierung. (ht @DominikWurnig): bundesregierung.de/resource/blob/…

Ich mache mir einen Kaffee, lese es mal und twittere hier parallel mit, zu dem was mir auffällt.
@DominikWurnig Regierung will in EU dafür werben, Emissionshandel auszuweiten und einen Mindestpreis einzuführen. Über dessen Höhe steht da nichts.

(Wer nochmal nachschlagen will, was Emissionshandel ist, hier entlang, Frage 4: krautreporter.de/2899-12-fragen…)
@DominikWurnig Ab 2021 wird Emissionshandel für Verkehr und Geäude aufgebaut, mit jährlich steigenden Preisen. Beginnend bei 10€, endend bei 35€. Aber: Erst DANACH wird eine maximale Menge festgelegt. Bis dahin wirkt das System also de facto wie eine CO2-Steuer, aber ist eben zu niedrig.
Klimawissenschaftler sind sich einig, dass der Preis JETZT mindestens 50 Euro betragen sollte und über die Jahre steigen müsste bis er wahre Kosten abbildet. Was Deutschland schaffen muss:
Oha: Regierung behält sich explizit vor, *Maximal*preise für CO2 ab 2026 festzulegen. Heißt: Wenn es absehbar zu teuer wird, könnte sie eingreifen.
Gut ist: Einnahmen aus CO2-Abgabe werden eingesetzt, um Ausbau der Erneuerbaren zu finanzieren und Strompreise zu senken. Dann kommt der "Gelbwesten-Paragraph" (meine Worte): Einnahmen werden auch verwendet, um Pendlerpauschale zu erhöhen, egal, welches Auto gefahren wird.
Klimafreundliche Gebäudesanierung (Fenster, Dämmung etc.) soll auf unterschiedlichen Wegen gefördert werden. Aber auch der Austausch alter Gas- und Ölheizungen. Hier kommt es auf das Kleingedruckte an: Neue Gasheizungen sind nicht natürlich nicht per se C02-neutral.
Oh, große Freude für die Anhänger von Kalauern und Energiesparen. Das Beratungsprogramm "Deutschland macht's effizient" wird aufgewertet. Bei Eigentümerwechsel wird Energieberatung Pflicht. (S.7)
Kommen wir zum Sektor "Verkehr". Zur Erinnerung: Hier sind die CO2-Emissionen seit 1990 beinahe konstant geblieben. Nirgendwo muss so schnell so viel passieren, um Paris 1,5 Grad zu schaffen.
1. Eine Million öffentliche zungängliche Ladesäulen für E-Autos bis 2030, vor allem durch Förderung. Aber auch: Regierung behält sich vor, Unternehmen zum Ladesäulen-Ausbau zu verpflichten, wenn der Markt es nicht regelt. (S.8/14i)
2. Hier jubeln die Lobbyisten von Shell, BP & Co: "Es wird geprüft,ob die Errichtung von Schnellladesäulen als Dekarbonisierungsmaßnahme der Mineralölwirtschaft behandelt werden kann." Ein Ablasshandel: Ölfirmen dürfen Luft verpesten, wenn sie E-Auto-Ladesäulen aufstellen.
3. Privaten Ladesäulen sollen gefördert werden, Vermieter können Einbau dieser nicht mehr blockieren, E-Tanken auf dem Parkplatz der Firma wird steuerlich begünstigt (S.9)
4. Ziel: Bis 2030 7-10 Millionen E-Autos. Das will die Reg erreichen, in dem sie Kaufprämie für Autos unter 40.000 erhöht und E-Autos länger von der Kfz-Steuer befreit als bisher vorgesehen.
Jetzt wird es spannend im Licht der Debatten in den letzten Wochen: #suverbot #iaablockieren #verkehrswende

"Erhöhung der Attraktivität des ÖPNV " und "Ausbau von Radwegen"
Zu ÖPNV:

- ab 2025 jedes Jahr eine Milliarde mehr an Förderung
- Modernisierung bestehender Busflotten soll vorangetrieben werden

Das wars. Ehrlich, da steht nicht mehr. Ich suche nochmal vorsichtshalber mit Strg+F nach "365 Euro Jahresticket"... ah, da findet sich was...
- 10 Modellprojekte mit solchen 365-Euro-Tickets sollen gefördert werden.

Das wars wirklich.

Zur Bahn: nichst substantiell Neues.
Zu Radwegen könnt ihr euch den Text selbst mal durchlesen, das ist der bisher unkonkreteste Abschnitt von allen. Ein tl:dr-Service von mir: "Wir machen nichts Neues, aber Lastenräder sind irgendwie hip und gegen Fahrradständer kann ja niemand was haben."
Ich überspringe ein paar Punkte zu Binneschiffahrt, LKW-Verkehr, strombasierte Kraftstoffe, Digitalisierung der Mobilität und CO2-orientierte Reform der Kfz-Steuer. Wer sich dafür interessiert findet das ab S. 11. Jetzt kommt nämlich: "Bahnfahren billiger,Fliegenteurer machen"
Der Mechanismus soll so funktionieren: Die Abgabe auf Flüge soll soweit erhöht werden, dass man der Bahn die Mehrwehrtsteuer auf Tickets um 12% senken kann.

Das hört sich gut an, oder?
Das war es zum Verkehr. Ich verlasse jetzt die Ordnung des Papiers, denn die Bundesregierung schließt mit ihrem Fokus auf E-Autos eine Wette ab: Dass die Energiewende schneller voranschreitet. Denn E-Autos mit Kohlestrom helfen nicht weiter.
In diesem Jahr wurden in Deutschland weniger als 40 Windräder errichtet. Ohne Windkraft ist die Energiewende nicht zu schaffen, es gibt immer wieder Protest. Die Reg hofft, diesen Protest aufzufangen, in dem sie nun 1000 Meter als Mindestabstand festlegt. Aber Problem:
"Bereits bei einem Mindestabstand von 1.000 Metern zu benachbarten Wohngebieten würde sich das gesamte Leistungspotenzial von derzeit noch 80 Gigawatt auf 40 bis 60 Gigawatt reduzieren." Das schreibt das Umweltbundesamt.
Aber Offshore-Wind-Kapzität soll bis 2030 vervierfacht werden. Das ist ein Hammer. Problem dabei: Wie kommt der Strom von Nord nach Süd? Der Trassenausbau stockt heute schon. Vielleicht bin ich blind: Aber dazu findet sich nichts im ganzen Papier!
Eigentlich macht es mehr Sinn, Strom dort zu erzeugen, wo er gebraucht wird. Aber Baden-Württemberg und Bayern verschleppen den Ausbau der Windkraft, weswegen Menschen in Thüringen oder Hessen, sich (zurecht?) fragen, warum sie eine Trasse vor die Nase gesetzt bekommen sollen.
Und jetzt kommts: In Bayern werden keine Windräder gebaut, weil das Gesetz de facto einen Mindestabstand von 2 Kilometern vorsieht. Ratet mal, was in dem Papier nochmal explizit hervorgehoben wurde?
You guessed it:

"Die bestehende Abstandsregel [...] in Bayern bleibt erhalten"

MP @Markus_Soeder gibt sich ja in letzter Zeit sehr klimabewegt. Aber wenn es darauf ankommt, dann vielleicht doch nicht so sehr...
@Markus_Soeder Das hier aber ist uneingeschränkt gut fürs Klima: Die Bundesregierung streicht den Deckel für den Ausbau von Solarenergie. Das bedeutet, dass Solaranlagen weiter gefördert werden. Das macht Sinn, denn so billig wie heute war Solarstrom noch nie.
@Markus_Soeder Es gibt auch eine Passage zu Energiespeichern, die an sich wichtig sind für die Energiewende. Aber um ehrlich zu sein, fühle ich mich da nicht sicher genug, um etwas zu zu sagen. Falls Speicher-Experten mitlesen, würde ich mich über eure Einschätzung freuen!
@Markus_Soeder Im Kapital "Landwirtschaft" kommt sieben Mal das Wort "fördern" u.a. bei Mooren, Senkung von Stickstoffüberschüssen, Emissionsminderung. Deswegen ist es interessant zu sehen, wo das Wort nicht kommt:
@Markus_Soeder 1. Die Bepflanzung von Feldrändern "unterstützt" die Reg nur. Diese Bepflanzung wäre aber wichtig, um Artenvielfalt zu erhalten. Stichwort: "Rettet die Bienen."

2. Bei "Vermeidung von Lebensmittelabfällen" tauch das Wort "Fördern" auch nicht auf.
Dafür aber wieder beim Thema "Wald", dort gleich zweimal. Sie sollen als CO2-Senken gefördert werden und "ressourceneffiziente Holzverwendung" soll gefördert werden. Heißt konkret: Es wird Geld für die Waldbesitzer geben, um Bewirtschaftung fortzusetzen.
Es gibt noch ein Kapitel, das sich der "Forschung" widmet. Dort tauchen Batteriezellen, Wasserstoff und u.a. CO2-Abscheide-System auf.
Aber der springende Punkt ist, was mit dem #Klimapaket sich NICHT verändert:

- Dieselprivileg bleibt erhalten
- Mehrwehrtsteuerbefreiung für internationale Flüge bleibt
- Dienstwagenprivileg bleibt
- Energiesteuerbefreiung für Kerosin bleibt
Allein diese 4 Maßnahmen kommen einer Subvention fossiler Energie im Umfang von jährlich 23 Milliaden Euro gleich. Auch darf z.B. RWE weiter Kohle abbagern ohne dafür eine Abgabe zu zahlen, was einer Subvention von ca. 300 Millionen Euro gleichkommt.
Insgesamt gibt die Bundesregierunge laut @greenpeace jährlich mehr als 46 Milliarden Euro zur Förderung fossiler Energie aus. Und dieses Klimapaket wird jährlich nur ein Viertel davon kosten.

Absurd.
Es ist kein großer Wurf. Es ist kein Richtungswechsel. Es ist der mutlose Versuch, die Hunderttausenden Menschen beim #climatestrike mit einem Bündel von Einzelmaßnahmen zu erschlagen, das sich nach viel anhört, aber weit hinter dem zurük bleibt, was nötig wäre.
Aber ich habe heute mit ein paar Demonstranten auf der Klimademo in Berlin gesprochen: Die Strategie der Bundesregierung wird nicht aufgehen. Die Klimabewegung will sich nicht aussitzen lassen.

Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit. Ich freue mich über Retweets und Hinweise!
Solche Analysen wie diese hier schreibe ich übrigens immer wieder in meinem Newsletter bei @krautreporter. Den könnt ihr hier abonnieren: krautreporter.de/9-rico-grimm
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