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Eine Überlegung zur Causa #Kemmerich und #Thueringen:

Wir müssen dringend damit aufhören, #Lindner und der #FDP zuzuschreiben, sie seien naiv / dumm / Politikamateure etc.

Ähnlich wie bei Trump, Johnson & anderen verklärt das ein viel größeres Problem:
Christian Lindner handelt nicht unüberlegt und töricht, er handelt opportunistisch und maximal berechnend. Er hat natürlich vor der #ThueringenWahl alle Szenarien durchgespielt, genau wie damals bei den Jamaika-Verhandlungen.
Es gibt keinen Zweifel daran, dass er wusste, dass die Faschisten der AfD Kemmerich wählen könnten, Höckes Brief und AKKs SMS sind Beweise dafür. Und Kemmerich selbst ließ wenig Zweifel daran, dass er freie Hand von Lindner bekam.
Was Lindner zum Umdenken bewogen hat, war nicht ein plötzlicher Anflug von antifaschistischem Anstand oder die Epiphanie, etwas Falsches getan zu haben. Es war einzig die langsam dämmernde Erkenntnis, das mediale und gesellschaftliche Echo unterschätzt zu haben.
Natürlich war das eine fatale Fehleinschätzung, die der Lindner-FDP länger und stärker anhaften wird als ihr Jamaika-Fiasko. Aber das war kein Blackout eines aufrechten Liberalen, sondern Ergebnis seines strammen Rechtskurses, der die FDP dorthin geführt hat, wo sie jetzt steht:
Nur 25% der FDP-Wähler*innen schließen eine Zusammenarbeit mit der AfD aus. Das ist kein peinlicher Ausrutscher, sondern folgerichtig, wenn man Lindners Kurs der letzten Jahre verfolgt hat:
Er hat nach 2015 die CSU in der Anti-Geflüchteten-Rhetorik weit rechts überholt und wie viele Rechte an der Legende mitgearbeitet, die Grenzen seien "geöffnet" worden.
Er verstand es dabei wie kein Zweiter, asylpolitisches Hardlinertum im weltoffenen Gewand daherkommen zu lassen und so all denen, die sich ungern als Faschisten verstehen, aber trotzdem ein bisschen Menschenfreundlichkeit ausleben wollten, die liberale Fassade zu lassen.
In der Klimapolitik hat er längst den Boden des seriösen Diskurses verlassen - durch Attacken auf #FFF, durch herbeifantasierte Zukunftstechnologien, durch "Innovationen statt Verbote", durch die Verkürzung des Freiheitsbegriffes auf den Abstand zwischen Gaspedal und Unterboden.
In d. FDP tummeln sich munter Klimawandel-Leugner, d. FDP-Berlin war unter den ersten Followern v. "Fridays for Hubraum". Auch das: kein Zufall, sondern maximaler Opportunismus - Lindner vermutet in Leuten mit "Fuck-Greta" Stickern auf der SUV-Stoßstange potentielle Wähler*innen.
Was bleibt, ist ein politischer Zocker, der - im Gegensatz zur CDU-Spitze - es weder direkt nach der Wahl noch am Tag danach vermochte, aufrichtig zu kommunizieren und (vermeintliches) Unvermögen unumwunden zuzugehen.
Stattdessen wurden absurde Forderungen gestellt (politische "Mitte" müsse sich jetzt bewegen - wohin denn? Keine Mehrheiten ohne Linke oder AfD) und Nebelkerzen gezündet:
Kemmerich war übermannt, Kemmerich wusste nicht, die AfD war unaufrichtig und hat bei Kemmerichs Wahl Foul gespielt (really Christian?), Schuld war Ramelow und RRG usw. usw.
Was Lindner jedoch sehr schnell geschafft hat: Seine innerparteiliche Macht zu konsolidieren. Kemmerich fällt für ihn aufs Schwert (to be confirmed), die Vertrauensfrage im Präsidium ist gestellt, er behauptet ohne rot zu werden, die FDP hätte "die Situation geklärt".
Lange Rede kurzer Sinn: Tun wir Lindner den Gefallen nicht, ihn als naiv und als Amateur zu stilisieren (auch wenn es natürlich etwas hat, dass seine Ex-Frau ihm bei Illner mitgibt, Politik sei etwas für Profis).
Lindner mag Fehler wie Thüringen machen, aber sie sind nicht Zeichen von politischer Naivität, Unkenntnis oder Leichtsinn, sondern v. fehlendem Wertekompass und Opportunismus.

Das macht ihn als politischen Rivalen viel gefährlicher und das sollte uns allen bewusst sein.
Nachtrag: Es gibt natürlich weitere Beispiele für Lindners politischen Opportunismus, man denke nur daran zurück, als er während der Jamaika-Verhandlungen mit Kohle-Kumpeln posiert hat oder kürzlich, als er auf der großen Bauern-Demo in Berlin aufgetreten ist.
Meine Autokorrektur will anscheinend nicht so negativ sein, trotzdem sollte das *MenschenFEINDlichkeit heißen.
Nachtrag 2: Ein guter Gradmesser für den Verfall der FDP sind auch Reaktionen von Politiker*innen wirklich liberaler Parteien. Parteifreund @guyverhofstadt twitterte ein Bild von Hitler (!), um auf den geschehenen Dammbruch aufmerksam zu machen.

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