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1. #Thüringen hat die Frage aufgeworfen, wo die CDU steht. Wie tief der Riss ist, der sie durchzieht. Wo er herkommt. Ob man ihn kitten kann. Ich glaube: Er ist sehr tief. Schwer zu kitten. Und ich kann zeigen, wo er herkommt. Ein Thread.
2. Zur Veranschaulichung hier der Einfluss bestimmter Haltungen auf die Einschätzung der sieben großen Parteien (Skalometer, 2017). Man sieht: CDU (schwarz) und CSU (grau) liegen in Kernfragen fast immer nah beieinander.
3. Das heißt: Man bewertet CDU und CSU ähnlich, wenn man sich auf der Rechts-Links-Achse ähnlich verortet, oder wenn man ähnliche Haltungen zu Einwanderung, dem Umgang mit Flüchtlingen 2015 oder Umverteilung hat.
4. Man sieht auch: Die Parteien sortieren sich meistens entlang dem Links-Rechts-Schema: Linke, Grüne, SPD eher links im Bündel, CDU, CSU, FDP und AfD eher rechts. Es gibt aber eine krasse Ausnahme. Den Riss.
5. Ich habe einen behelfsmäßigen 5-Item-Index des Normalitarismus gebildet. Und man sieht: Die Verortung auf der Pluralitarismus-Normalitarismus-Achse wirbelt die Parteien extrem durcheinander. Vor allem reißt sie CDU und CSU offensichtlich auseinander.
6. Auf einmal liegt die CDU (wie theoretisch erwartet) im Block der drei linken Parteien. Ist jemand pluralitärer, bewertet er die CDU eher gut – die CSU aber eher nicht. Sie ist, wie sonst nur die AfD, Ende 2017 klar auf der normalitären Seite.
7. Die CSU steht für das Gegenbild zur CDU der Merkeljahre, das es auch in der CDU gibt: Ende 2017 geißelte die CSU 2015, es war Obergrenzenzeit, Söder spielte mit dem Populismus. Es war die Zeit, wo viel davon die Rede war, wie wohl eine CSU auf Bundesebene abschneiden würde.
8. Das Ergebnis: Normalitarismus, der sonst nur eindeutig die Haltung zur AfD positiv beeinflusst, beeinflusste damals fast ebenso stark positiv die Haltung zur CSU. Beeinflusste aber eher negativ die Haltung zur CDU. Normalitäre sahen die CSU eher als Angebot, die CDU nicht.
9. Das Muster ist robust, ich habe den 5er-Index fünfmal als 4er-Index erstellt, jeweils eine Dimension weggelassen, das Bild sieht jeweils ähnlich aus. Was darauf hindeutet, dass es da wirklich ein Einstellungsmuster gibt.
10. Die Frage, wie zufrieden man mit dem Umgang 2015 war, reißt CDU und CSU nicht so auseinander. Die Haltung zu Einwanderung oder der Aufnahme von Flüchtlingen nicht. Nicht einmal die Frage nach Koalitionen mit der AfD. Der Einfluss auf die Haltung zu CDU und CSU ist je ähnlich.
11. Hier sieht man anschaulich, wo die Union auseinandergerissen wird, zwischen einer akzeptierenden (verkörpert von der Merkel-CDU) und einer abwehrenden Reaktion (verkörpert von der bissigen Obergrenzen-CSU) auf die Tatsache, dass die alte Normalität in Frage gestellt wird.
12. Dabei geht es nicht um klassische Policies, um Wirtschaftsliberalismus oder Staatsschulden, auch nicht vor allem um Grenzkontrollen und Einwanderung. Es geht um etwas Neues und sehr grundsätzliches, und in beiden Parteien gibt es substantielle Gruppen auf beiden Seiten.
13. Hier verläuft die Bruchlinie in der Union, und hier kann die CDU wahrscheinlich dauerhaft kein Angebot für eher Pluralitäre und eher Normalitäre machen (und wahrscheinlich kann man Normalitären überhaupt kein demokratisches Angebot machen).
14. Ich bin zum Glück kein CDU-Stratege, denn ich halte es für ziemlich ausgeschlossen, dass man diese Bruchlinie befestigen, kitten, dass man beide Seiten zugleich in einer Partei zufriedenstellen kann. Nicht programmatisch, nicht mit neuem Führungspersonal.
15. Das, was in Thüringen sichtbar wurde, was seit Thüringen sichtbar wurde in der CDU, das geht, glaube ich, zu großen Teilen auf diesen Riss zurück. Und wenn ich eine Prognose wagen soll: Dieser Konflikt in ihr wird die CDU noch lange beschäftigen. Vielleicht: quälen.
Anmerkungen 1: Meine Normalitarismusthese habe ich hier ausgeführt t-online.de/nachrichten/de…
Die Plots basieren auf GLES-Daten (Langfrist-Online-Tracking 38, dbk.gesis.org/dbksearch/sdes…, wurden im Dezember 2017 erhoben).
Anmerkungen 2: In den Modellen, aus denen Koeffizienten hier geplottet sind, stecken noch mehr Kontrollvariablen, die sind nur für den Plot maskiert. Auch den Normalitarismus habe ich im ersten Plot maskiert.
Anmerkungen 3: Der Index umfasst fünf Fragen zu Homosexualität, Frauenrechten, Klimaschutz, Free Speech und dem Islam, die gleich gewichtet eingehen. Das ist alles eine Krücke, weil es keine besseren Daten gibt.
Anmerkungen 4: Man sieht an den breiten Konfidenzintervallen, wie unscharf der Index ist, das wirft die Frage auf, ob er überhaupt sinnvoll ist, aber besser diese Infos als keine, und die Ergebnisse decken sich so mit der Erwartung, dass ich es legitim finde, ihn zu verwenden.
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